Dieter Kober  (1920-2015)

Der Weg vom Ritchie-Boy zum Musikdirektor

und Dirigenten des Chicago Chamber Orchestra

Von Renate Schönfuß-Krause

 

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Der Weg vom Ritchie-Boy zum Musikdirektor und Dirigenten des Chicago Chamber Orchestra
Der Weg vom Ritchie-Boy zum Musikdirektor und Dirigenten des Chicago Chamber Orchestra. ©Renate Schönfuß-Krause
Dieter Kober. Vom Ritchie-Boy zum Musikd
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Am 16. April 2022 habe ich den 

Wikipedia-Artikel "Dieter Kober" 

angelegt und veröffentlicht. Dieser ist noch am gleichen Tag für die Präsentation auf der Wikipedia-Hauptseite in der Rubrik „Schon gewusst?“ vorgeschlagen worden.

 

Hier der Original-Vorschlag: 

Hallo Benutzername, herzlichen Dank für diesen Artikel über einen Musiker, der den freien Zugang zu Kultur umgesetzt hat. Das passt so gut zu Wikipedia, wo es uns ja um den freien Zugang zu Wissen geht. Daher würde ich den Artikel gern für die Rubrik "Schon gewusst" auf der Hauptseite der Wikipeduia vorschlagen. Ich möchte dich dazu um dein Einverständnis bitten. Freundliche Grüße--Lutheraner (Diskussion) 19:54, 16. Apr. 2022 (CEST) 


Leseprobe der ausführlichen PDF-Version (Anfang): 

Ein Leben zwischen zwei Welten – Ein Leben für die Musik

Dieter Kober (* 2. Jan. 1920 Halberstadt; † 1. Okt. 2015 Radebeul / Dresden) gehört mit seinem ungewöhnlichen Lebenslauf, der zwischen zwei unterschiedlichen Welten stattfand, und seiner Lebensleistung als Musiker, Musikpädagoge, Musikdirektor und Dirigent mit zu den bemerkenswertesten Persönlichkeiten, die inmitten der Kluft einer zerrissenen politischen Welt während und nach dem Zweiten Weltkrieg agierten und ihre Spuren hinterließen. Sein Leben konnte kaum gegensätzlicher sein. Zum einen ganz unter dem Trauma von Flucht, Emigration, Kampf in der US-Armee gegen Hitler-Deutschland stehend, zum anderen geprägt durch eine Karriere als Musikdirektor und Dirigent, gelang es Dieter Kober immer wieder, für soziale als auch globale Gerechtigkeit einzutreten. 

Dieter Kober, Dirigent und Musikdirektor Chicago Chamber Orchestra
Dieter Kober, Dirigent und Musikdirektor Chicago Chamber Orchestra

Mit seinem Chicago Chamber Orchester (CCO) verstand er es, durch Musikdarbietungen in den USA und auf Tourneen durch Europa und Asien, Brücken der Völkerverständigung zu bauen. Es war ihm stets Bedürfnis, mit nachhaltigen Musikerlebnissen die Weichen für gegenseitige Achtung und Anerkennung zwischen den Menschen und Gesellschaftsordnungen zu stellen. Als deutsch-amerikanischer Musiker, Dirigent, Musikpädagoge, Gründer und Direktor des professionellen Chicago Chamber Orchestra machte er sich weltweit einen Namen.

Dieter Kober hatte bereits Anfang der 1950er Jahre in seiner zweiten Heimat, den USA, den kulturellen Anspruch breiter Bevölkerungsschichten nach klassischer und moderner Musik erkannt und gründete deshalb ein Orchester für Kammermusik, das es in dieser Form im Chicago der 1952er Jahre noch nicht gab. Getreu seiner Überzeugung, dass jeder ein Recht auf kulturelle Bildung besitzt, öffnete er mit ausgewählten Programmgestaltungen und als Dirigent des Chicago Chamber Orchestra für Hunderttausende im In- und Ausland die Türen für das Erleben und Verstehen von klassischer Musik auf hohem Niveau. Für die Bevölkerung Chicagos ermöglichte er zusätzlich jährlich eine Reihe kostenloser Konzerte. Damit verwirklichte er seine Vision, anspruchsvolle Musik einem breiten Publikum aller Altersklassen und Hautfarben zugänglich zu machen, was damals noch nicht selbstverständlich war. Es gelang ihm mit seinem Orchester, unzählige Anhänger für klassische Musik zu gewinnen und zu begeistern. Musik war sein Leben, ob klassische Werke von Haydn, Händel, Mozart, Schubert, Beethoven, Vivaldi, Brahms, Bach, Bruckner, Telemann, Debussy, Manfredini - oder auch moderne Werke, die er seinem Publikum in unvergleichlicher Weise, auch als Musikpädagoge, näherbrachte. Ihm gelang ein einmaliges Bildungskonzept für soziale Gerechtigkeit.

Es ist unzweifelhaft, dass der in Deutschland geborene, in Chicago zum Musikdirektor und Dirigenten aufgestiegene und in Radebeul bei Dresden verstorbene Prof. Dr. Dieter Kober, der am längsten amtierend gewesene Musikdirektor in den USA war, wenn nicht sogar der gesamten Welt. Eigentlich hätte er es verdient, mit einem Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen zu werden, denn er hat beispiellose 61 Jahre ohne Unterbrechung als Gründer, Musikdirektor und Dirigent das professionelle Chicago Chamber Orchestra geleitet. 

Lebenslinien - eine Familie gezeichnet von Verfolgung, Flucht und Exil

Dieter Kober wurde am 2. Januar 1920 als ältester Sohn des Kaufmanns und Schuhhaus-Besitzers Albert Kober und dessen Ehefrau Hedwig in Halberstadt / Sachsen-Anhalt geboren. 1922 erfolgte die Geburt des zweiten Sohnes Martin. Die Familie Kober gehörte zu den Neubürgern Halberstadts. Sie waren nach dem Ersten Weltkrieg, als Angehörige der deutsch-jüdischen Bevölkerungsschicht aus der preußischen Provinz Posen (Poznań / Polen) geflüchtet, nachdem mit dem Großpolnischen Aufstand im Dezember 1918 Repressalien gegen die deutsche und jüdische Bevölkerung einsetzten. Als sich diese zu Pogromen ausweiteten und die Provinz Westpreußen mit dem Versailler Vertrag am 28. Juni 1919 an den polnischen Staat überging, setzte eine große Auswanderungs- und Fluchtwelle der deutschen Bevölkerung ins Deutsche Reich ein, mit der auch die Kobers nach Halberstadt kamen.

Die intellektuelle, kulturell vielseitig interessierte Familie, deren Großvater väterlicherseits Kantor in Glogau (Głogów / Polen) gewesen war, besaß einen hohen Bildungsstand und reges Interesse für Kunst, Theater, Geschichte und Musik. Das Elternhaus förderte die vielseitigen Interessen und Begabungen der Söhne und ermöglichte dem musikalisch hochbegabten Dieter Kober frühzeitig eine Ausbildung am Fagott und Cello.

Ab 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, erfuhr Dieter Kober als Realschüler die sofortigen Veränderungen im nationalsozialistischen Schulsystem, indem mit neuen Gesetzgebungen die intellektuelle Erziehung in den Hintergrund trat und einer körperlichen Ertüchtigung und militärischen Ausbildung weichen musste. Seine zunehmende Diskriminierung an der Schule wegen seiner Herkunft und die Verweigerung 1936, dass er ungeachtet seiner ausgezeichneten sportlichen Leistungen nicht an Schulolympiaden teilnehmen durfte und von vielen Gruppenveranstaltungen ausgeschlossen war, wurden für ihn zum Auslöser für den Wunsch, nach seinem Realschulabschluss Deutschland zu verlassen und allein in die USA zu emigrieren. Die Eltern wollten weiterhin in Deutschland bleiben, jedoch waren bereits viele Familienangehörige in den USA, und so erhielt der 16-jährige Dieter Kober ein Erlaubnisvisum durch seine Verwandten und ging 1936 nach New York City. Seinen Eltern und dem Bruder gelang noch 1938, sozusagen in letzter Minute, die Flucht aus Nazi-Deutschland in die USA. Sie kamen ebenfalls nach New York und lebten später in Louisiana, wo der Vater eine Tankstelle betrieb. 

Vom Flüchtling vor dem Nazi-Regime zum

Kämpfer in US-Uniform 

In New York besuchte Kober bis 1938 die Benjamin Franklin High School, an der er seinen Schulabschluss absolvierte. Da er noch keine amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, erhielt er keine Zulassung zur Aufnahme in das City College of New York und wechselte in den Bundesstaat Nebraska, an die University of Nebraska - Lincoln. Obwohl noch ohne amerikanische Staatsbürgerschaft, wurde er als Student in das staatliche Förderprogramm der Army ROTC (Reserve Offizier Training Corps) an der Universität aufgenommen. Die Ausbildung erfolgte in militärwissenschaftlichen Kursen und Führungstrainingslabors für einen Einsatz in der US-Armee. Zusätzlich war er in der Band der Universität und spielte bei Exerzier- und Marschübungen die Militär-Lyra (Glockenspiel). Sein Ziel bestand vorerst darin, Musiker in einer Militärkapelle werden zu wollen. Der Angriff Japans auf Pearl Harbor (7. Dez. 1941) und die Kriegserklärung der USA an Japan (8. Dez. 1941) sowie kurz darauf die Kriegserklärung Deutschlands an die USA (11. Dez. 1941) veränderten nicht nur das gesamte Weltgefüge, sondern unterbrachen auch seinen weiteren Lebenslauf und seine Zielstellungen. Er gehörte zu den jungen Männern, die vor dem Hitlerfaschismus aus Europa geflohen und als Emigranten in den USA aufgenommen worden waren, und die nun ganz selbstverständlich ihren Beitrag für ihre neue Heimat leisten wollten, um das verhasste Nazi-Deutschland zu besiegen. Dieter Kober wollte als Emigrant das Hitlerregime bekämpfen und wartete auf seine Einberufung zum Kriegsdienst in der US-Armee, denn viele seiner amerikanischen Mitstudenten waren bereits rekrutiert worden. Durch administrative Schwierigkeiten verzögerte sich seine Einberufung bis Dezember 1942. Dadurch musste er sein Studium mitten im letzten Semester unterbrechen.  

Als Ritchie Boy zum Kämpfer per Intelligence

Die erste Station des Kriegsdienstes wurde eine Grundausbildung im Camp Kearns in Utah, einem riesigen Lagerkomplex der Army Air Forces Base. Im Gerichtsgebäude von Hagerstown in Maryland erfolgte Kobers Vereidigung als Soldat, da er immer noch Ausländer war.

Da die US-Armee während des Zweiten Weltkrieges Offiziere und Soldaten benötigte, die für den Einsatz an den Fronten in Europa die europäische Kultur kannten, die außer einer hohen Bildung auch Sprachen wie deutsch, polnisch, französisch, italienisch fließend beherrschten, besonders auch als Muttersprache, und die für einen Einsatz im Feindesland auch Landeskenntnisse besaßen, wurden die eingezogenen oder freiwilligen Rekruten im Camp Kearns auf diese Fähigkeiten hin getestet. Nach einem erfolgversprechenden IQ-Test kamen Ausgewählte auf geheimen Befehl zur weiteren Spezialausbildung in das geheime Trainingslager des Militärgeheimdienstes nach Camp Ritchie im Bundesstaat Maryland, wo sie für die Vernehmung von Häftlingen oder für die Spionageabwehr in Europa ausgebildet wurden. Das Camp war ein abgeriegelter, streng geheimer Lagerkomplex, in dem während des Zweiten Weltkrieges, in der Zeit von 1942 bis 1945, in jeweils achtwöchigen Kursen insgesamt etwa 15.200 junge Männer als US-Spezialeinheit für den Geheimdienst der US-Armee ausgebildet wurden. Unter ihnen auch bekannte Persönlichkeiten wie die Deutschen Guy Stern, Stefan Heym und Klaus Mann oder der Österreicher Hans Habe.

 

Dieter Kober wurde ebenfalls für dieses Ausbildungsprogramm vorgesehen. Er wurde in das Ausbildungslager des US- Militärgeheimdienstes Camp Ritchie- Military Intelligence Training Center abkommandiert und dem Camp Ritchie-Military Intelligence Service (MIS) zugeteilt. Hier erhielt er im Trainingscenter eine Spezialausbildung und wurde Teil einer geheimen Einheit des Militärnachrichtendienstes, die überwiegend aus deutsch-jüdischen und österreichischen Emigranten zusammengestellt worden war, die später als Ritchie Boys bezeichnet wurden. Ihre Ausbildung zur Unterstützung der alliierten Armee bestand in moderner psychologischer Kriegsführung, mit einer Schulung der gezielten und effektiven, militärisch nützlichen Informationsgewinnung, Spionageabwehr, Feindaufklärung bis hin zu intellektuellen Verhörtechniken für deutsche Kriegsgefangene und Propagandaarbeit.[iii] Für diese zu bildende Eliteeinheit, die dem Pentagon unterstellt war, hatte man intelligente, zumeist studierte deutschsprachige Angehörige der US-Army ausgesucht. Bevorzugt handelte es sich um deutsch-jüdische Emigranten, die genau wussten, wie Deutsche denken, fühlen und handeln und die auf Grund der eigenen Erlebnisse von Diskriminierung, Verfolgung und Flucht aus Nazi-Deutschland dahingehend motiviert waren, gegen das Hitler-Regime aktiv zu kämpfen. Bei ihrer Ausbildung ging es dabei weniger um den militärischen Kampfeinsatz, sondern um einen Einsatz per Intelligenz, eine neue Stufe der Kriegsführung - die Fortführung des Kampfes mit nachrichtendienstlichen und psychologischen Mitteln.

Nach der achtwöchigen Ausbildung im Camp Ritchie erfolgte der Einsatz der Ritchie Boys an unterschiedlichen Fronten. Während ein Teil mit Truppentransporten nach Europa verschickt wurde, wo sie entweder hinter der Frontlinie Kriegsgefangene und Überläufer verhörten oder als Einzelkämpfer ihre Einheiten verließen, um, auf sich selbst gestellt, ihren Spezialaufgaben der Informationsgewinnung im Feindesland nachzugehen, wurde der andere Teil der ausgebildeten Spezialisten zur operativen Nachrichtengewinnung des US-Militärgeheimdienstes eingesetzt.

 

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