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Morgen gehen wir zur "Bleeche an de Röder..." oder besser: zur Bleiche der Wäsche...
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Veröffentlicht in "die Radeberger"   Nr. 35  v. 2.9.2016                                


Morgen gehen wir zur „Bleeche an de Röder…“

Diese Ankündigung der „Bleeche“ bedeutete für Kinder zumeist Freude und einen vergnüglichen Tag mit Muttern, den man im Sommer mit ihr an der frischen Luft im Sonnenschein auf einer Wiese verbrachte, bewaffnet mit Gießkannen, um die ausgebreitete Wäsche zu begießen. Für die Mutter als Hausfrau bedeutete die „Bleeche“ noch einen zusätzlichen Arbeitstag beim Bewältigen der „Großen Wäsche“. Hinter diesem sächsischen Ausdruck „Bleeche“ steht das hochdeutsche Wort „Bleiche“, das ein Synonym für jeden Eingeweihten ist und sofort an frühere Zeiten erinnert. Die Bleiche der Wäsche war in den Sommermonaten für jeden ein fester Begriff. Die weiße Wäsche wurde nach dem Waschvorgang von den Hausfrauen zum Bleichen auf den Wiesen ausgebreitet und ständig mit Wasser begossen und gewendet, damit die Sonne dann das „Ausbleichen“ erledigen konnte. Es war ihr Ziel, Reinlichkeit und Perfektion mit einer im Höchstmaß erzielten blendend weißen, fleckenlosen Wäsche auf der Leine den Nachbarn zu dokumentieren. Selbst Naturleinen-Stoffe, mit ihrer gelblichen Färbung, wurden nach und nach blütenweiß gebleicht – heute weiß man, dass dies die Folge einer nachgewiesenen bio-chemischen Reaktion ist. Die Natur selbst bildet mit der UV-Strahlung der Sonne, dem Wasser und dem Sauerstoff aus den Gräsern der Wiesen kleinste Mengen Wasserstoffperoxid. Dieser Stoff, der die meisten Materialien angreift und ausbleichen kann, ist auch desinfizierend. Heute geschieht das durch die eingesetzten Waschmittel bereits in der Waschmaschine. Bleichen im Sommer war einfach ein Muss für Generationen von Hausfrauen vergangener Tage. Und ein Kraftakt.

Wenn heutige Zeitgenossinnen von ihrer sogenannten „großen Wäsche“ fabulieren, während sie genervt und schon im Voraus überanstrengt den Knopf der Waschmaschine und ihres Wäschetrockners in der gepflegten Wohnung bedienen, ahnen sie mit Sicherheit nicht im Geringsten, was ihre Vorfahrinnen noch bis vor weniger als 50 Jahren auf sich nehmen mussten, um ebenfalls zu dem heutigen Endergebnis einer gepflegten und reinlichen Wäsche zu gelangen. „Große Wäsche“ bedeutete für diese Generationen von Frauen fast eine Woche ununterbrochener, kräfteraubender Tätigkeiten, ob nun in einem zumeist düsteren Waschhaus, auf dem „Bleichplan“, dem Trockenplatz, oder dem sich anschließenden Besuch einer „Wäscherolle“. Diese Kaltmangeln waren ein Wunderwerk damaliger Technik. Die Wäsche musste faltenfrei akkurat auf spezielle Leinen-Mangeltücher gelegt und auf Holzwalzen (Doggen) gewickelt werden. Der Effekt des Pressens und Glättens wurde dadurch erreicht, dass die Doggen unter den ca. 500 kg schweren, zumeist mit Steinen gefüllten Kasten der Mangel geschoben wurden, der dann nach Inbetriebnahme ständig knarrend und mit Getöse auf den umwickelten Wäschedoggen hin und her fuhr. Da die Mangeln jeweils beidseitig arbeiteten, war für die Frauen enormer Zeitdruck angesagt. Es war ein aufwendiger Weg, bis die Wäsche wieder zusammengelegt in den Wäscheschrank kam. Aus dieser Sicht verwundert es überhaupt nicht, dass damals noch keine Fitness-Studios vermisst wurden, denn diese heute, mangels körperlicher Ausarbeitungen, schon fast erforderlichen Körperertüchtigungen waren damals ganz selbstverständlicher Bestandteil des Alltages.

Ein kleiner Überblick soll daran erinnern: Wenigstens einen Tag vor der großen Wäsche musste das Waschhaus „betriebsfertig“ eingeräumt, verschiedene Wannen aufgestellt und Holz nebst Kohlen für die Beheizung des Waschkessels bereitgestellt werden. Es war erforderlich, im Vorfeld die Holzwannen mit Wasser zu füllen und weichen zu lassen, damit das Holz quellen konnte und das Seifenwasser später nicht auslief. Dann erfolgte das Einweichen der Wäschestücke in den Wannen mit Seifenpulver, fachkundig getrennt nach Weiß- und Buntwäsche. Am folgenden Waschtag wurde die Wäsche in den verschiedenen Wannen auf einem Waschbrett kräftig gerubbelt und mit Bürsten geschrubbt. Die so gewaschene Buntwäsche wurde anschließend gespült, mit den Händen ausgewrungen und auf dem sogenannten Wäscheplatz zum Trocknen aufgehängt. Für die Weißwäsche kam der mit Wasser und Kernseife gefüllte große Waschkessel zum Einsatz. Der unter dem Kessel befindliche Ofen wurde ordentlich eingeheizt, was zur Folge hatte, dass sich mit beginnendem Kochprozess die Luft des Waschhauses in eine dampfende Sauna verwandelte. Dabei waren von der Hausfrau Kontrolle und Gefühl angesagt, denn der Kesselinhalt durfte nicht überkochen. In den Kessel wurde nun in mehreren Etappen die Weißwäsche zum Kochen eingelegt, mit einem großen Holzpaddel bewegt, mit diesem nach dem Kochvorgang herausbalanciert und zum Auskühlen auf Holzablagen gelegt, um anschließend in klarem Wasser gespült zu werden. Als kleiner Nebeneffekt wurde abends zumeist die ganze Familie noch im warmen Seifenwasser der Wannen „abgeschrubbt“.

Am nächsten Tag folgte im Sommer der große Moment des Wäschebleichens. Für diejenigen, die an ihrem Haus oder ihrer Mietwohnung über einen zugehörigen Wäscheplatz oder „Grasgarten“ verfügten, stellte das Bleichen kein allzu großes Problem dar, denn gleich aus dem Waschhaus heraus konnte man seine Wäsche auf der nahen Wiese ausbreiten und begießen. Komplizierter war es für die Einwohner, die an ihren Wohnhäusern und Mietwohnungen keine derartigen Gelegenheiten hatten. In Lotzdorf betraf das zumeist die seit der Industriealisierung zunehmende Anzahl der Arbeiterfamilien, die auf den Bauernhöfen und bei den Häuslern eingemietet waren. Auch das Waschen in den Waschhäusern der Bauernhöfe war noch zusätzlich erschwert, da zumeist nur die „Plumpe“ auf dem Brunnen des Hofes Wasser spendete. Jeder Eimer Wasser musste also per Handlauf hochgepumpt und in das Waschhaus getragen werden.

Wäsche-Bleiche auf den Dresdner Elbwiesen um 1920;  Quelle: SKD Mus. f. Volkskunst Dresden Inv.-Nr. H 105)
Wäsche-Bleiche auf den Dresdner Elbwiesen um 1920; Quelle: SKD Mus. f. Volkskunst Dresden Inv.-Nr. H 105)

Aber auch in den dichtbesiedelten Städten war in den meisten Grundstücken kein Platz für Wäscheplätze. So war es schon seit altersher üblich, dass in den Städten und Gemeinden sogenannte „Bleichpläne“ im öffentlichen oder privaten Raum, gegen Bezahlung der Nutzung, zur Verfügung standen. Zumeist von geschäftstüchtigen Unternehmern betrieben, die sich „Trockenplatzpächter“ nannten und zum Teil auch, wie in Dresden und Langebrück, Besitzer einer öffentlichen Wäscherei waren. Die Bleichpläne befanden sich immer in der Nähe eines Flusses oder Bachlaufes. Alte Kupferstiche, Ölgemälde und Fotos erinnern daran, wie in Dresden auf den Elbwiesen die Wäschebleiche durchgeführt wurde.

In Radeberg waren für die stetig wachsende Bevölkerung, ab der Zeit der Industriealisierung, in den einzelnen Stadtteilen Bleich- und Trockenplätze eingerichtet worden: an der Wasserstraße in Schlossnähe, an der Brücke der Stolpener Straße, an der Talstraße Nähe Eselstrappen, am Goldbachgrund in Nähe Schillerstraße. Auch das Dorf Lotzdorf hatte seine Bleichwiese. Sie befand sich gegenüber der sogenannten „Langa“ (s. Artikel Ausgabe 31) auf dem linksseitigen Röderufer, gleich rechts hinter der Brücke zur Tobiasmühle (Flurstück Lotzdorf Nr.171). Dahin karrten die Lotzdorfer Frauen mühsam mit dem Leiterwagen oder auf dem Kinderwagen ihre schweren Wäschekörbe, um die Wäsche für die Rasenbleiche auszubreiten. Das Wasser wurde aus dem angestauten Bachzulauf, der aus dem Fleischer-Riemerschen Fischteich in die Röder fließt, entnommen, d.h. mit Eimern und Kannen geschöpft und dann in Gießkannen umgefüllt. Die Wäsche musste ständig gegossen und feucht gehalten werden, natürlich auch bewacht, denn sie stellte einen erheblichen Wert dar.

Der Trocken-und Bleichplatz Wasserstraße / Schloss Radeberg (alte AK, um 1910)
Der Trocken-und Bleichplatz Wasserstraße / Schloss Radeberg (alte AK, um 1910)
Der öffentliche Trocken- und Bleichplatz an der Röder-Brücke Stolpener Straße (alte AK, um 1908)
Der öffentliche Trocken- und Bleichplatz an der Röder-Brücke Stolpener Straße (alte AK, um 1908)

Ein ehemaliger Lotzdorfer erinnert sich heute noch, welche Freuden er als Junge vor fast 80 Jahren, gemeinsam mit seinem Bruder, an solchen Tagen an der Röder erlebte. Sie konnten in der Lotzdorfer Schule kaum erwarten, dass die Schulstunden zu Ende gingen, wenn sie wussten, dass Mutter in nächster Nähe von der Schule, an der Röder, ihren Wäschebleichtag hatte und sie mit leckeren Stullenpaketen zum Essen im Grünen erwartete. Sofort nach der Schule lösten sie ihre Mutter ab und übernahmen für den Nachmittag die weitere Aufsicht und Verantwortung für die Bleiche. Wasser schöpfen und schleppen, gießen, Wäsche wenden, aber auch im Bach planschen, im Gras liegen, allerhand Getier wie Blutegel, Libellen und Fische beobachten und vor allem zwischendurch an der Brücke in der Röder baden – hier floss das Wasser besonders ruhig, und es war der schönste Badeplatz für die Lotzdorfer Jungen, die sich hier trafen. Am Abend sammelte dann die Mutter alle ein, den Handwagen, die gebleichte Wäsche und ihre glücklichen Söhne, die vollgestopft waren mit Erlebnissen, die bis heute vorhalten... Zu Hause angekommen, musste die Wäsche von der Mutter nochmals gespült werden, um am nächsten Tag auf Wäscheleinen gehangen getrocknet zu werden. Bis die saubere Wäsche in die Schränke wandern konnte, war es ein langwieriger, beschwerlicher Weg.

Röder-Brücke zur Tobiasmühle – Rechts die „Bleeche“;   Foto: Schönfuß
Röder-Brücke zur Tobiasmühle – Rechts die „Bleeche“; Foto: Schönfuß

Das alles ist noch gar nicht so lange her und wurde bis Ende der 60-er Jahre des vorigen Jahrhunderts so praktiziert. Wie wichtig das Thema der Reinlichkeit und der damit verbundenen Hygiene der Bevölkerung auch von staatlichen Stellen genommen wurde, zeigen mehrere interessante Protokolle der Sitzungen des Stadtrates von Radeberg ab 1945. Am 9. Juli 1947 war ein wiederholtes Thema der Ratssitzungen in dieser schwierigen Nachkriegszeit unter „Punkt 5: Bleichpläne“. Das ist bemerkenswert, denn die Stadtoberen Radebergs hatten in dieser Zeit des totalen Umbruchs, Hungers, Aufbaus neuer Verwaltungsstrukturen, Organisation und Verteilung von Nahrungsmitteln, Brennstoffen, Bekleidung, Unterbringung und Versorgung von 2.185 Umsiedlern (Stand Januar 1947) eigentlich weit wichtigere, schwerwiegendere Probleme zu lösen. Aber sie hatten offensichtlich den hohen Stellenwert der Bleich-und Trockenpläne für die Bevölkerung erkannt, ging es doch um die Erhaltung der Volksgesundheit durch Sauberkeit und damit letztlich auch um die Verhinderung von gefürchteten Infektionen und Seuchen. Der damalige Bürgermeister, Paul Brückner (1886-1963), hatte mit dem Stadtrat von Radeberg außer für die eigene Bevölkerung, zusätzlich die Sorge und Verantwortung für mehrere überbelegte Massenunterkünfte in Baracken zu tragen, in denen die vielen Kriegsvertriebenen und Umsiedler notdürftig und unter mangelhaften hygienischen Bedingungen untergebracht waren. Deshalb war der Antrag des Stadtverordneten-Vorsteher Burckhardt verantwortungsvoll, der forderte „daß für die Anlieger des Stadtteiles Lotzdorf, wie für die Bewohner der Langen Straße die Beschaffung von Bleichplänen weiterhin verfolgt wird.“ Das zeigt sehr deutlich, für wie wichtig und dringlich die Schaffung der Voraussetzungen für die Wäschereinigung angesehen wurde.

Die „Blutrote Heidelibelle“  ♂ (Sympetrum sanguineum) an der Lotzdorfer Röder;  Indikator für einen sauberen Fluß;    Foto: Schönfuß
Die „Blutrote Heidelibelle“ ♂ (Sympetrum sanguineum) an der Lotzdorfer Röder; Indikator für einen sauberen Fluß; Foto: Schönfuß

Es benötigte noch einer langen Wegstrecke, um die schwere Arbeit der Frauen in den Waschhäusern zu erleichtern. Erst Anfang der 60-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts war die Technik in Ostdeutschland so weit fortgeschritten, dass verstärkt Waschmaschinen und Wäscheschleudern zu erschwinglichen Preisen im Handel angeboten wurden. Die meisten Frauen in diesem Teil Deutschlands waren nach 1945 schon lange keine „nur Hausfrauen“ mehr, sondern größtenteils voll berufstätig wie ihre Ehemänner. Der Staat honorierte diese für ihn so wichtigen weiblichen Arbeitskräfte damit, dass die verheirateten Frauen zur Erleichterung ihrer Doppelbelastungen monatlich einen vom Staat finanzierten freien Arbeitstag erhielten, der als „Haushalttag“ bezeichnet wurde. Die weitere Entwicklung von Waschmaschinen, von Trommelwaschmaschinen ohne Schleudergang bis hin zu den ersten um 1966 auf den Markt gekommenen Waschvollautomaten, trugen dazu bei, dass sich die „große Wäsche“ aus muffigen Waschhäusern in die Wohnbereiche, als eine Arbeit „so nebenbei“, verlegte. Damit verwaisten die Bleichpläne und es wurde auch für die Radeberger und Lotzdorfer Frauen überflüssig, noch „auf die Bleeche“ an die Röder zu gehen.

 

 

Renate Schönfuß Krause

www.teamwork-schoenfuss.de

 

Quellen:

·    Protokolle der Sitzungen des Stadtrates 1945-1949, Stadtarchiv Radeberg

·    Herr Manfred Gräfe: Jugenderinnerungen

·    Renate Schönfuß-Krause: Familienchronik Schlegel - Hirschnitz „Erinnerungen sind
    ein zweites Leben“, Seiten 265-287, 3. Auflage 2012, Eigenverlag

·    Wikipedia-de: Waschgerätewerk Schwarzenberg

·    SLUB Dresden: Flurkarte Lotzdorf