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Feuerzangenbowle Radeberg Gymnasium, Weihnachts-Klassentreffen
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Weihnachtszeit mit „Radeberger Feuerzangenbowle“ und Treff bei Demmlers

  

Der Film-Klassiker "Die Feuerzangenbowle" mit Heinz Rühmann als Hauptdarsteller und Helmut Weiss als Regisseur wurde Vorbild für die Radeberger Abiturienten des Abschluss-Jahrganges 1952. Sie feierten alljährlich am 27. Dezember in "Demmlers Restaurant" am Radeberger Bahnhofsvorplatz ihr Klassentreffen bei einer beschaulichen Feuerzangenbowle.

Trotz aller Probleme, Wirren, Sorgen, Not und Ängste in den letzten Kriegsjahren und der Nachkriegszeit galt auch bei ihnen die Leitlinie des Filmes:

 

"Dieser Film ist ein Loblied auf die Schule, aber es ist möglich, daß die Schule es nicht merkt."

 

Lesen Sie unseren Weihnachtsartikel 2020!

Wird demnächst veröffentlicht in unserer Heimatzeitung

"die Radeberger" 


Weihnachten 2020 - Kleines Vorwort in eigener Sache

Wer Artikel und Aufsätze schreibt und diese veröffentlicht, erhält auch sehr oft ein nettes Echo von seinen Lesern, ob in Form eines Anrufes, eines persönlichen Dankeschöns in Briefform oder sogar, wie es bei diesem folgenden kleinen Weihnachtsbeitrag vorausging, mit einer Zusendung von gesammelten Unterlagen aus der Schulzeit oder dem persönlichen Leben des Absenders. Dokumente, die für jeden, der sie als historisch Interessierter erhält, von großem Wert sind, weil dabei oft Einblicke in ein „Damals war‘s“ möglich werden, die ansonsten unwiederbringlich verloren gehen. Deshalb ein kleiner Appell an dieser Stelle: Bevor Sie, liebe Leser, persönliche Unterlagen, Fotos oder Postkarten wegwerfen, prüfen Sie, ob diese nicht für unser Radeberger Stadtarchiv im Rathaus oder für das Archiv des Museums Schloss Klippenstein von Wert sein könnten, denn dort werden sie sicher und dauerhaft für folgende Generationen aufbewahrt und sind jederzeit abrufbar.

Für das mir zugesandte Material der „Festschrift Schülerjahrgang 1934“ [1] und die Fakten, woraus die „Radeberger Feuerzangenbowle“ entstanden ist, bedanke ich mich bei Herrn Dipl.-Physiker Siegfried Brauny aus Dresden ganz herzlich – ein schönes Weihnachts-Geschenk, das an das Archiv weitergegeben wird. 

Weihnachtszeit mit „Radeberger Feuerzangenbowle“ und Treff bei Demmlers

Demmlers Gaststätte am Bahnhofs-Vorplatz (Bahnhofstraße 14), Ende der 1990er Jahre.  Bild-Quelle 1
Ort der Klassentreffen: Demmlers Gaststätte am Bahnhofs-Vorplatz (Bahnhofstraße 14), Ende der 1990er Jahre. Bild-Quelle 1

Wer kennt ihn nicht, ohne sofort lächeln zu müssen, den Film-Klassiker „Die Feuerzangenbowle“, der mit dem Schauspieler und Produzenten Heinz Rühmann und seinen exzellenten Schauspielerkollegen bis heute ganze Generationen erheitert? Zumeist traditionell immer zu Weihnachten im TV-Programm gesendet, hat er auch 76 Jahre nach seiner Premiere, die übrigens am 28. Januar 1944 in Berlin bereits wegen ständiger Bombardements ganz unspektakulär vormittags stattfinden musste, durchaus Kultstatus erreicht. Der Unterhaltungsfilm fand auch in Radeberg, sofort nach seinem Erscheinen 1944, sein begeistertes Kinopublikum und regte vor allem die Schuljugend zur Nachahmung an. Auch die „Pennäler“ der „Städtischen Oberschule Radeberg“ wurden davon erfasst, die ebenso wie die von ihnen bewunderten Filmhelden, an ihrer Höheren Lehranstalt in Radeberg unzählige lustige Begebenheiten mit ihrem Lehrkörper zu verzeichnen hatten. Der Film wurde zum „Renner“ und beliebten Vorbild, und so blieb es nicht aus, dass er auch die Schüler des Geburts-Jahrganges 1934 begeisterte, die 1944, im gleichen Jahr der Filmpremiere, ihre höhere Schulbildung für die nächsten 8 Jahre an der Städtischen Oberschule in Radeberg begannen. Als sich der sogenannte „harte Kern“ 1952 nach vollbrachtem Abiturabschluss trennen musste, gelobten sie zum Abschied von der „Radeberger Penne und der herrlichen Schulzeit“, sich immer jeweils am 27. Dezember, dem sogenannten „dritten Weihnachtsfeiertag“, in der „Gaststätte Demmler“ am Bahnhof zu einer Feuerzangenbowle zu treffen, um in Erinnerungen zu schwelgen und sich nicht aus den Augen zu verlieren. Ganz wie die älteren Herren in ihrem Film „Die Feuerzangenbowle“. 

Denn der Film war und ist ein Klassiker und hält bei jeder Generation die Empfindung an die eigene Schulzeit wach, wenn Schülerwitz gegen Lehrergewalt mit Pfiffigkeit den Sieg davonträgt. Wen sollte das nicht immer wieder begeistern?! Und auch noch, wenn Lehrer so herrlich mit ihren Schrullen auf die Schippe genommen werden, welch ein Spaß und Hallo – oder vielleicht doch nicht? Das Letztere wird zumeist erst im späteren Leben nachdenklicher betrachtet. Manchmal auch etwas beschämt über eigene, jugendliche „Bösartigkeiten“ im Gruppenverhalten der Spezi Homo sapiens.

Demmlers Gasthaus - Ort der "Radeberger Feuerzangenbowle", links der Stammtisch, mitte einer der 3 gemütlichen Räume. Rechts: das Demmlersche Haus mit Restaurant und Fleischerei im Ursprungszustand um 1915 auf der Radeberger Bahnhofstraße 14. Bild-Quelle 1.

„Die Feuerzangenbowle“ - Lachen in einer Zeit, wo es wenig zum Lachen gab

Die Entstehungsgeschichte des Films war jedoch, bei allem Humor, bezeichnend für die Situation dieser Zeit, als er 1943, mitten in den Kriegsereignissen des Zweiten Weltkrieges mit seinem unsagbaren Leid, dennoch „auf höchsten Wunsch“ fertiggestellt wurde, nachdem die Versicherung an diese höchste Stelle erfolgt war, „dass dieses Produkt zum Lachen sei.“ Lachen, das sollten die Deutschen endlich mal wieder, und so entstand der lustige Pauker- und Pennäler-Film. Ungeachtet der Bombardements in Berlin, wo in den Studios der UFA die Dreharbeiten immer wieder unterbrochen werden mussten, ungeachtet des bereits herrschenden Kriegselends von Stalingrad und an den Fronten in ganz Europa, und auch ungeachtet der Tatsache, dass sofort nach dem Abitur ganze Klassen von Abiturienten im Eiltempo an die Front transportiert wurden. Der traurige „Tanz auf dem Vulkan“ war bereits in voller Aktion, aber das Publikum, das Volk, sollte mit dieser Film-Produktion abgelenkt werden, etwas zum Lachen haben… Das gelang in dieser Zeit teilweise auch durchaus und hält bis in die Gegenwart unvermindert an, indem der Film um die Weihnachtszeit als Weihnachts-Event regelmäßig im Deutschen Fernsehen seit 1964 gezeigt wird [2] und später sogar als Weihnachtshöhepunkt bis heute in zentralen Hörsälen von Universitäten seinen Einzug hielt. So u.a. in der Uni Göttingen, wo er jedes Jahr, seit 1981, vor mehreren tausend angehenden jugendlichen Nachwuchs-Akademikern in 5 Hörsälen und insgesamt 20 Vorstellungen zelebriert wird, die ihn am Nikolaustag als „Schöler“ feucht-fröhlich mit Heidelbeerwein und Wunderkerzen in einer großen Nikolausparty feiern und voller Begeisterung gleich mitspielen. [3] Die Aktualität des Pennäler-Films ist ungebrochen.

„Aber jeder nor einen wenzigen Schlock“ - bis heute einfach Kult

Der Inhalt des Films „Die Feuerzangenbowle“ wurde zu einem absoluten Erfolg und ist schnell erzählt: Vier ältere Herren erinnern sich in einer gemütlichen Runde, bei einer dampfenden Feuerzangenbowle, sehr heiter an die Streiche ihrer Schulzeit und auch an die Spitznamen ihrer, von ihnen einstmals mehr als geplagten Lehrer, unter dem Motto: „Ja, unsere alten Lehrer, warum tut man das eigentlich? Warum macht man solchen Ulk mit seinen Lehrern? Wahrscheinlich doch, weil sie so saukomisch sind? Oder nein, gerade weil man immer Schindluder mit ihnen treibt, dadurch werden sie erst komisch.“ Nur der Fünfte in dieser Herrenrunde, ein junger erfolgreicher Schriftsteller, Dr. Johannes Pfeiffer (Heinz Rühmann), kann nicht mitreden, da er durch einen Privatlehrer zu Hause unterrichtet und erzogen worden war und den lustigen Schulalltag in der Kumpanei von Mitschülern, mit all ihren lustigen Streichen, nie erleben durfte. Die durch die Feuerzangenbowle alkoholisch angeregte Gesellschaft heckt deshalb einen verrückten Plan aus, damit dieser unwissende Pfeiffer mit den drei „efff“, als Schüler verkleidet, diese lustigen Erfahrungen als Oberprimaner an einem Gymnasium in der provinziellen Kleinstadt mit Namen Babenberg nachholen kann. Die Verwechslungskomödie wird damit perfekt, Pfeiffers Streiche mit seinen Schulgenossen amüsieren ein großes Publikum und lenken in diesen Zeiten der bereits halbzerbombten Städte, wo vielen das Lachen längst vergangen ist, zumindest etwas von der politischen Misere ab. Der Filmstoff, der auf dem Buch von Heinrich Spoerl [4] basiert, wurde zur Inspirationsquelle einer jeden Generation. Das wirklich Wunderbare und auch fast Einmalige an diesem Filmstoff zeigt sich daran, dass er immer wieder Jung und Alt gleichzeitig und gemeinsam laut lachen lässt. Wo kommt das sonst schon vor? Aber wenn Schüler-Ulk und Professoren-Pauker mit ihren Zitaten aufwarten und aufs Korn genommen werden, sind sich sogar unterschiedliche Generationen einig im Spaß, und Texte wurden regelrecht Kult, wie: „Also wat is en Dampfmaschin? Da stelle mer uns janz dumm. Da sage mer so: Ein Dampfmaschin, dat isse ne jroße schwarze Raum“, oder: „Sä send albern. Ehnen fählt die settliche Reife“, und nicht fehlen darf „Bäh, wat habt ihr für ne fiese Charakter“ bis hin zu der Szene der alkoholischen Gärung des selbstfabrizierten Heidelbeerweines für die „Schöler, aber jeder nor einen wenzigen Schlock“, denen dann auch noch richtig „öbel“ wird. Lachen war und ist, nach wie vor, vorprogrammiert.

Ort der Handlung? Babenberg, eine verträumte Kleinstadt - fast wie Radeberg?

Kleinstadt-Idylle: Der Radeberger Bahnhofsvorplatz um 1915. Links die Demmler‘sche Häuserreihe Bahnhofstraße 12 - 16. Rechts Eschebach.  Bild-Quelle 3.
Kleinstadt-Idylle: Der Radeberger Bahnhofsvorplatz um 1915. Links die Demmler‘sche Häuserreihe Bahnhofstraße 12 - 16. Rechts Eschebach. Bild-Quelle 3.

Nachdem der bereits in aller Munde befindliche Pauker- und Pennäler-Film nach seiner Premiere 1944 auch die zwei großen Lichtspieltheater Radebergs [5] erreicht hatte, blieb auch hier die Resonanz der Begeisterung nicht aus. Alt und Jung lachten Tränen. Babenberg alias Radeberg? Der Vergleich war nicht abwegig und drängte sich auch sofort in das Bewusstsein der Radeberger mit ihrer Schülerschar. Solche Kleinstädte finden sich überall. Das fiktive Filmstädtchen - Babenberg - wird treffend geschildert als „es liegt wunderbar hinter dem Mond und ist ein entzückendes Städtchen, mit einem entzückenden Gymnasium und ganz entzückenden Lehrern.“ Es bestand kein Zweifel an der Ähnlichkeit, denn jeder, der in einem Provinzstädtchen lebt, weiß sofort, wovon die Rede ist mit „wunderbar hinter dem Mond liegend“…

Auch die Vergleiche zur Radeberger „Penne“ auf dem Freudenberg [6] blieben nicht aus. Ebenso wie die Filmvorbilder, jene mit liebevollem Augenzwinkern dargestellten Lehrer und Professoren mit all ihren Macken und Schrullen, konnte auch die Städtische Oberschule Radeberg [7] in ihrer Höheren Lehranstalt eine Lehrerschaft vorweisen, die von den Radeberger Pennälern durchaus amüsiert aufs Korn genommen wurde und manchen Streich erdulden musste. Dazu sollte auch bald der Geburtsjahrgang 1934 gehören, der nach vier Jahren Volksschule, in althergebrachter Form noch getrennt in Mädchenschule (Schulstraße) und Knabenschule (heute Pestalozzischule) unterrichtet, im Jahr 1944 an die Radeberger „Städtische Oberschule für Jungen“ auf dem Freudenberg kam. Hier in diesen heiligen Hallen sollten sie in den nächsten acht Jahren einer höheren Schulbildung zugeführt werden. Was dabei ganz neu für sie war, sogar gemeinsam in einer Klasse mit Mädchen, entgegen der Namensgebung der Schule. Dieser Jahrgang bestand aus zwei Klassen, 1a und 1b, mit insgesamt mehr als 80 Schülern aus Radeberg und Umgebung, die sich bald darüber einig waren: „Die Feuerzangenbowle“ mit all ihren Streichen, da konnten sie schon lange und jederzeit mithalten, wenn sie an ihre eigenen Ulk-Kapazitäten dachten.

„Bäh, wat habt ihr für ne fiese Charakter“

Als „Kleine“, angeregt durch die Vorbildwirkung der älteren Schüler, waren sie bald mit allen Spitznamen der Lehrer und deren Eigenheiten vertraut. Da waren Oberstudiendirektor G. Jähne („Alter“, „Direx“, „Lauschke“), Konrektor Professor Dr. Theodor Arldt („Adsch“), der sich als ein bedeutender Wissenschaftler von Rang dennoch täglich zum Broterwerb im Schulunterricht gegen unerzogene Bürgersöhnchen mit dem Ruf „Anstand, Anstand!“ wehrte, was ihm seinen Spitznamen einbrachte, W. Aulhorn („Lanzettfisch“), Studienrat E. Henke wurde wegen seiner Frisur „Iggl“ getauft, Studienrat M. Sulzmann („Sülze“), Studienrat Titus Philipp („Titus“), Studienrat H. Magnitz („Maggi“), Studienrat M. Fritzsche („Flüster“), Hans Oehme („Sturm-Ottl“), Kunstmaler W. Muschter („W-M“), Dr. (!!!) W. Müller (Monroe), bei dem sich später herausstellte, dass er sich den Dr. als Titel, auf dessen Anrede er stets übersteigerten Wert legte, in den Kriegswirren selbst zugelegt hatte, H. Held (Hapad“), Frau Ch. Rinkefeil („Lotte“), Frau G. Stange („Fu-na“), und als ab 1950 als Direktorin Frau E. Brodkorb [8] an die Schule kam, wurde sie gnadenlos zur „Bemmbüchse“ umbenannt.

Jüngere Lehrer erfuhren zumeist mehr Ehrfurcht, wie Dr. Johannes Schmude, Prof. Dr. H. Oehme, Dipl. Ing. W. Focke oder die Persönlichkeit des Pfarrers E. Niedner. Die wirksamste Waffe der Schüler, gegen weniger beliebte Lehrer mit ihren Macken oder ihrem staubtrockenen Unterricht, bestand in organisierten Aktionen. Das erlebte Studienrat „Sülze“, ein gemütlicher alter Herr, dessen etwas eintönige Unterrichtsgestaltung durch die Schüler-Rasselbande aufgepeppt wurde, die sich eines Tages abgesprochen hatten, mitten im Unterricht auf ein bestimmtes Kommando, an einer sehr unpassenden Stelle eine gemeinsame Lachkanonade zu veranstalten. Gerade als er im Biologieunterricht vom menschlichen Auge und dem Elend der Erblindung sprach, fanden sie den Augenblick passend, ein nicht enden wollendes Höllengelächter zu veranstalten und selbst des Studienrates mehrmaliges „Stilläääh!“ ging in diesen Lachsalven unter und ließ ihn einsam und kopfschüttelnd zurück: „…also die heutige Jugend, nein so was“. Oder der gemeinsame Boykott beim „Alten“, dem Direktor, der gern auf Kosten seiner Schüler bei Rückgabe der Deutsch-Aufsätze Witze über deren Stilblüten machte, sich dabei selbst köstlich amüsierte und mit Genuss das Lachen derjenigen Schüler provozierte, die gerade nicht vorgeführt wurden. Als er eines Tages bei einem erneuten Exkurs in Richtung Heiterkeit auf die abgesprochenen eisigen Mienen seiner Schüler stieß, war er für die Zukunft umerzogen. Studienrat E. Henke, ein ausgezeichneter Pädagoge in Mathematik und Physik, dessen Ohren durch seine „Iggl“-Frisur immer sichtbar waren, hatte die Eigenheit, immer an der Wandtafel über irgendeine Formel nachdenkend, zur Problemlösung seinen mit Kreide behafteten Zeigefinger hinter das rechte Ohr zu führen, wo sich dann stets Kreideablagerungen befanden – es gab Spaß ohne Ende. 

Große Veränderungen verdrängen Schülerulk und „Feuerzangenbowle“

An der Radeberger „Penne“ war ständig etwas los. Auch untereinander wurde es bei den Schülern des Jahrgangs 34 üblich, sich Spitznamen zu geben. So wussten sie bald nur noch mit diesen Bezeichnungen, wer eigentlich gemeint war mit „Max“, „Busse“, „Krischan“, „Kulbe“, „Bunny“, „Ditz“, „Franz“, „Ebs“, „Schmittl“, „Shaw“, „Biggy“, „Wozzeck“, „Jackie“, „Ginke“, „Benno“, „Kognoo“, „Jonny“, „Ebbs“, „Sonny“ u. a. mehr. 

Die letzten Kriegsmonate gestalteten sich besonders unruhig an der Penne. In den beiden Klassen 1a und 1b war ein ständiges Kommen und Gehen von neuen Schülern zu verzeichnen, die eine Gastrolle als „Kriegsgäste“ einnahmen. Sie waren entweder Flüchtlinge oder Vertriebene, kamen nach Radeberg auf der Durchreise mit ihren Eltern in Richtung Westen oder wurden vorübergehend nach den Dresdner Bombenangriffen 1945 auf die Oberschule eingewiesen. Bei Luftalarm blieben nur die auswärtigen Schüler im Luftschutzraum der Oberschule, die Radeberger mussten schleunigst nach Hause traben. Dabei hatten die größeren Schüler die Aufsichtspflicht über die „Kleinen“, und alle nahmen zumeist Abkürzungen durch die Radeberger Gassen, wie das sogenannte „Scheißgässel“ (ehem. Kirchsteig) in Richtung Lotzdorf oder „Schmidts Gässel“ von der Pirnaer zur Stolpener Straße. 

Die Wirren des Kriegsendes 1945 und die Nöte der Nachkriegszeit ließen Schülerulk und „Feuerzangenbowle“ weit in den Hintergrund treten. Die Schülerzahlen verringerten sich, da Familien ohne Vater dastanden und die Mütter das Schulgeld von monatlich 20 Mark nicht mehr aufbringen konnten. Viele Familien verließen auch die sogenannte „Russenzone“ in Richtung Westen. Jetzt traten ganz andere, elementarste Bedürfnisse des Überlebens in den Vordergrund, die jahrelange Hungerzeit begann [9], die das ganze Denken und Fühlen einnahm, mit zusätzlich mangelndem Heizmaterial bei großer Kälte, Wohnungsnot und Leid in vielen Familien, wo Väter nicht mehr aus dem Krieg zurückkehrten oder für Jahre in Kriegsgefangenschaft verblieben. Die Söhne, selbst noch Kinder, mussten ganz selbstverständlich in eine Vaterrolle schlüpfen und die Verantwortung für das Überleben der Familie übernehmen [10]. Auch später waren sich bei diesen Erinnerungen alle darüber einig: „Der Hunger war das Schlimmste, dass wir alle in den ersten Nachkriegswintern litten“. [11] Plötzlich wurde die eine Roggensemmel, die jedem Schüler durch Befehl der SMAD [12] vom Land Sachsen täglich in der Schule verabreicht wurde, zum Lebensinhalt. Manchmal war es auch die einzige Nahrung, die am Tag verfügbar war. Wer als Schüler zum Transporteur für die Abholung der Schulspeise-Kübel von der zentralen Küche der Mädchenschule eingeteilt wurde, war privilegiert, durfte er doch als Lohn Essensreste der geleerten Kübel auskratzen. Aber Jugend ist anpassungsfähig und besitzt die Gabe, „ihrer schönsten Zeit des Lebens“, auch in ganz schlimmen Zeiten noch etwas Positives abzugewinnen. 

Die „Radeberger Penne“ auf dem Freudenberg, um 1940. Heute „Humboldt-Gymnasium“.  Bild-Quelle 3.
Die „Radeberger Penne“ auf dem Freudenberg, um 1940. Heute „Humboldt-Gymnasium“. Bild-Quelle 3.

Die Seite ihres Universums hatte sich seit 1945 grundlegend gewandelt. Die Städtische Oberschule wurde zur Humboldt-Oberschule umbenannt. Einige Lehrer waren nicht mehr da, Neulehrer wurden eingesetzt, Klassen umstrukturiert. Das „Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule“ vom 2. Juni 1946 veränderte Schulsystem und Lehrpläne. Der Ruf „Mehr Arbeiter- und Bauernkinder auf die höhere Schule“ stieß anfänglich auf wenig Gegenliebe, vor allem derjenigen, die sich für ihre Sprösslinge höhere Schulbesuche finanziell leisten konnten. Diese neue Gesetzlichkeit mit ihren Maßnahmen löste durchaus Widerstand und Diskussion bei älteren Studienräten und konservativen Eltern mit ihrem Nachwuchs aus, die sich als Honoratioren und Elite von Radeberg sahen. Ab Schuljahr 1948/49 trat die neue Schulregelung in Kraft, die den Oberschulbesuch für Abgänger der 8. Klasse von Grundschulen ermöglichte, die nun für die nächsten vier Jahre bis zum Abitur ihren Einzug auf der Humboldt-Oberschule des Freudenberges hielten. 

Statt „Rütli-Schwur“ eine Feuerzangenbowlen-Verabredung der „1934er“

Irgendwann begannen auch wieder die Schulstreiche und sonstigen Aktivitäten. So wurde das Modell des lebensgroßen menschlichen Skeletts zum Ziel manchen Ulks, zum Entsetzen ernsthafter Lehrkräfte. Zeichnerisch festgehalten in lustigen Szenen durch einen talentierten Schüler, der später Graphiker wurde [13]. Lehrer stellten verzweifelt „Ethische Verwahrlosung“, „Versauung der Wissenschaft“, „Flagrante Missachtung moralischer Grundsätze“ und „Prinzipielle Absage an die Humanität“ fest und straften „wegen grober Flegelei alle Knaben“ mit einem Eintrag im Klassenbuch. Sicherlich nicht ahnend, dass aus diesen „Flegeln und Rüpeln“ nur wenige Jahre später selbst verantwortungsvolle Wissenschaftler, Diplom-Lehrer und Ärzte hervorgehen sollten, die führende Positionen einnahmen. Als schließlich die „1934er“ im Jahr 1952 ihr Abitur ablegten, waren sie der erste Jahrgang, der seine Prüfungsthemen zentral und geheim vom Kreisschulamt erhielt. Lehrer konnten die Themen nicht mehr, wie vorher, selbst vorschlagen und beeinflussen und waren dementsprechend nervöser als ihre Prüflinge, von denen einige das Abitur nicht schafften.

Humboldt-Gymnasium Radeberg; Geburts-Jahrgang 1934: Treffen vor dem Portal zur „Penne“, Bild-Quelle 2
Humboldt-Gymnasium Radeberg; Geburts-Jahrgang 1934: Treffen vor dem Portal zur „Penne“, Bild-Quelle 2

Dagegen gelobten sich die Erfolgreicheren, eingedenk des Rütli Schwurs „Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern (…)“ [14], den sie in ihrer Zeit auf der „Penne“ nur allzu oft zitiert hatten, dass sie sich jedes Jahr, jeweils an dem sogenannten dritten Weihnachtsfeiertag. ganz zwanglos in der gemütlichen „Gaststätte Demmler“ treffen wollten. Die Allermeisten begannen ein Studium und verließen Radeberg nach dem Abitur. Aber die Weihnachtsfeiertage verbrachte man traditionell zu Hause bei den Eltern, und der 27. Dezember wurde vorgeplant für den Treff zu Feuerzangenbowle und anderen schöngeistigen Getränken im Kreis einstiger Schulkameraden bei „Demmlers“. Einige der „ehemaligen Pennäler“ sollten in den nächsten Jahren, bis zum Bau der Mauer 1961, die Heimat in Richtung BRD verlassen, jedoch hörte der Kontakt zu den Klassenkameraden, auch über Grenzzäune hinweg, nicht auf.

Demmlers Gaststätte mit Feuerzangenbowle, „einem Teufelszeug, das teuflisch aufs Gemüt geht“

Diese Treffs am dritten Weihnachtsfeiertag in der „Gaststätte Demmler“ auf der Bahnhofstraße, auch als „Kindler‘s“ nach der Inhaberfamilie benannt, waren bereits bei allen Ehemaligen der Humboldtschule zur Tradition geworden, und die Abiturienten von 1952 schlossen sich diesem Treiben an. Für die Idee der Verabredung hatte natürlich der Kultfilm „Die Feuerzangenbowle“ indirekt Pate gestanden. Der Film, der alle von Jugend an begeistert hatte, den man lachend immer wieder konsumieren konnte und der einen Teil der eigenen Kindheit und Jugend mit all ihren Streichen und Schabernack wieder aufleben ließ. Das gemeinsame „Weißt Du noch…“ mit ehemaligen Schulkameraden hört bekanntlich nie auf. Ihre Erinnerung an all die schönen Streiche, wie sie ihrem Sportlehrer „Habad“ seine Flausen eines Wintersportfestes an der „Knochenstampe“ im Hüttertal mit Alkoholexzess und Rutschpartie in die eisige Röder austrieben, auch ihre Aktivitäten, als die sowjetische Besatzungsmacht alle Radioempfänger requiriert hatte und sie kleine selbstgebastelte Radioempfänger auf Zigarrenschachteln bastelten, deren Einzelteile aus Elektronikschrott illegal auf der Schutthalde des Sachsenwerkes stibitzt wurden, oder ihre zwei Klassenkameraden, die in der Bäckerei am Markt die Bäckersfrau austricksten und, getrieben von Hunger, ein Brot als „Mundraub“ ergatterten, das dann in der Schule in gierigen Brocken gemeinsam heruntergeschlungen wurde – sie hatten unendlich viel erlebt. Die gemütliche Feuerzangenbowle bei Demmlers empfanden sie genauso wie die Schilderungen der zum Vorbild gewordenen Filmhelden, die dieses anregende Gesöff als „ein Teufelszeug, das herrlich aufs Gemüt geht“ bezeichneten. 

Genauso empfanden sie es auch. Rosarote Erinnerungen vergoldeten eine Zeit als Pennäler, die nicht immer golden war, aber dennoch einmalig - sie schwelgten alle Jahre [15] wieder in Erinnerungen an ihre vergangene Schulzeit und ihre zahllosen Streiche, an die „Penne auf dem Freudenberg“ mit ihren teilweise durchaus liebenswerten Lehrern und deren noch liebenswerteren Eigentümlichkeiten und Marotten, die man leider erst später versteht. Sie erlebten den Spruch: „Bier sackt in die Beine, Wein legt sich auf die Zunge, Schnaps kriecht ins Gehirn. Nur die Feuerzangenbowle umhüllt weich und warm das Gemüt, nimmt die Seele ein, die Erdenschwere hinweg und löst alles auf in Dunst und Nebel“. 

 

Vielleicht, liebe Leser/innen, wäre das auch für uns alle eine Anregung, in diesen Corona-Zeiten mit einer Feuerzangenbowle etwas weihnachtliche Stimmung in die Wohnzimmer zu zaubern und in schöne Erinnerungen abzutauchen?

 

Ihnen allen und Ihren Familien ein schönes Weihnachtsfest in Gesundheit und ein gutes Jahr 2021!

 

Ihre Renate Schönfuß-Krause 

Dezember 2020

 

Bild-Nachweis:

  1. Bild-Quelle 1: Hans-Werner Gebauer: Demmlers Gaststätte. In: Radeberger Blätter zur Stadtgeschichte, Heft 9/2011.
  2. Bild-Quelle 2: Sammlung Irene Weibezahl.
  3. Bild-Quelle 3: Alte Ansichtskarten

Foto-Aufarbeitungen: teamwork-schoenfuss.de

Quellen und Anmerkungen:

  1. W. Kühn, S. Brauny: „Festschrift, Organisiertes Klassentreffen des Schuljahrganges 1934 anl. des 50-jährigen Abiturjubiläums 2002“, Bildbeiträge W. Keller.
  2. Die erste Fernsehausstrahlung erfolgte bereits am 28. Dez. 1964 durch den Deutschen Fernsehfunk der DDR, die BRD strahlte „Die Feuerzangenbowle“ erst am 26. Dez. 1969 im ZDF aus (20 Mio. Zuschauer).
  3. Quelle: goest-göttinger stadtinfo: Feuerzangenbowle-Nikolausfeier in der Uni Göttingen 2019.
  4. Heinrich Spoerl (1887-1955), Düsseldorfer Schriftsteller, Roman „Die Feuerzangenbowle“ (1933), sein Roman ging jedoch auf die Originaltexte und persönlichen Erlebnisse von Hans Reimann (1889-1969), Kabarettist und Schriftsteller aus Leipzig, zurück, Spoerl war Co-Autor.
  5. Radeberg besaß 2 große Lichtspieltheater: „Filmeck“, Kaiserhof-Lichtspiele, Hauptstraße 62 und „Metropol-Lichtspiele“, Hauptstraße 36.
  6. „Penne“, höhere Lehranstalt auf dem Freudenberg, 1944 „Städtische Oberschule für Jungen“.
  7. Ab 1912 Realschule auf dem Freudenberg, ab 1926 Realgymnasium mit Realschule, ab 1938 Städtische Oberschule für Jungen, 1945/46 Umbenennung in Humboldt-Oberschule, 1959 Erweiterte Oberschule, 1992 Humboldt-Gymnasium Radeberg.
  8. Edith Brodkorb, Direktorin von 1950 bis 1959
  9. Auszüge aus der Festschrift Klassentreffen Schuljahrgang 1934, 2002, Texte W. Kühn, S. Brauny: Zeichnungen W. Keller.
  10. Klaus Schönfuß: „Joachim Reinelt, Bischof des Bistums Dresden-Meißen von 1988 – 2012 -- Wegbereiter und Begleiter in die Freiheit“, Webseite www.teamwork-schoenfuss.de.
  11. Dr. Bernhard Hietel, ehemaliger Oberschüler: „Meine Lebensgeschichte“,
    1966 an S. Brauny
  12. SMAD: Sowjetische Militäradministration in Deutschland; oberste Besatzungsbehörde in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bis zum 10. Oktober 1949.
  13. Wolfgang Keller („Franz“), Graphiker (BRD).
  14. Friedrich Schiller: Wilhelm Tell, 1804.
  15. Der Abiturjahrgang 1952 traf sich bis 1965, immer am 27. Dezember, fast jährlich in der „Gaststätte Demmler“ oder auch „Zur Post“, von 1966 bis 2016 erfolgten 20 größere und kleinere organisierte Treffen.