Hier werden im Rahmen des "Jahres der Industriekultur Sachsen 2020" Beiträge zur 500-jährigen Industriegeschichte Sachsens vorgestellt, die einen breiten Themenkreis überstreichen. 

Radeberg will eine Straßenbahn vom Bahnhof über Lotzdorf nach Liegau

Bestrebungen um 1900.  Von Renate Schönfuß-Krause


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Straßenbahn Radeberg - Volltext-Leseversion

Radeberger Verkehrsentwicklung: humoristische Visionen um 1920. Verkehrszentrum Marktplatz.
Radeberger Verkehrsentwicklung: humoristische Visionen um 1920. Verkehrszentrum Marktplatz.

Eines muss man den Radebergern rückblickend wirklich zugestehen, wenn man diese Collage (1) eines unbekannten Künstlers betrachtet, welche vermutlich um das Jahr 1920 entstanden ist – an Visionen mangelte es ihnen nie, wenn es darum ging, sich die Stadtentwicklung im industriellen Zeitalter vorzustellen und zu planen, auch wenn nicht alle Pläne aufgehen sollten.

Die Zeit um 1900 war allgemein geprägt durch Vorstellungen und Wünsche für eine Erweiterung der notwendigen räumlichen Mobilität im Zeitalter der Industrialisierung. Erforderlich wurde diese in vielfältigen Formen, ob für die Beweglichkeit von Gütern oder von Personen. Es verwundert also nicht, dass die Radeberger in dieser Zeit auch Ideen für die Inbetriebnahme einer Straßenbahn zur Personenbeförderung entwickelten, mit dem Streckenverlauf vom Bahnhof Radeberg, durch die Stadt über die Dörfer Lotzdorf und Liegau bis zur Röderbrücke bei Klein-Wachau. Sie sollte zur Belebung des innerstädtischen Verkehrs, aber ebenso zur Unterstützung des zunehmenden Tourismus in den Liegauer Kurbädern (Augustusbad und Herrmannbad) beitragen. Die Planung einer Straßenbahn wurde zu einem Schwerpunkt, der über mehrere Jahre zu einem heiß diskutierten Thema mit mehreren unterschiedlichen Varianten in unserer damaligen Kleinstadt wurde.

Die Stadt Radeberg boomte um 1900, zog Unternehmer an, hatte Einwohnerzuwachs und befand sich im Aufbruch!

 

Das Jahr 1901 – Planungsentwurf einer Straßenbahn vom Bahnhof Radeberg bis nach Liegau

Eine Radeberger Aktivität bestand in den Jahren 1898-1902 in dem Wunsch, es durchaus den Großstädten gleichtun zu wollen und sich die Annehmlichkeiten einer Straßenbahn-Anlage zu gönnen. Nicht nur für die Radeberger Einwohner, sondern auch für die Dörfer Lotzdorf und Liegau, die ebenfalls in den Genuss eines solchen Verkehrsmittels kommen sollten. Lotzdorf hatte sich durch die Industrialisierung längst zu einem aufstrebenden Wohnort vieler Radeberger Arbeiter entwickelt, die einen täglichen Fußmarsch nach Radeberg in ihre Fabriken und nach Feierabend zurück zu ihren Wohnstätten absolvieren mussten. Liegau wiederum war Anlaufpunkt für viele Kurgäste und ihre Besucher, die ihre Heil- und Badekuren in den Kurbadanlagen des nahen Augustusbades aufsuchten oder Gäste des Kurbades „Herrmannbad“ in Liegau waren. Bisher erreichten sie bei ihrer Ankunft auf dem Radeberger Bahnhof nur mit Droschkenfuhrwerken ihre ländlichen Ziele. (2)

Ein umfangreicher Erläuterungs-Bericht (3) aus dem Jahr 1901 gibt interessante Einblicke in die Planungsentwürfe zu dem „Projekte der Straßenbahn vom Bahnhof Radeberg durch die Stadt und die Dörfer Lotzdorf und Liegau bis zur Röderbrücke bei Wachau – von 4,5 km Länge“.

 

Titel des „Erläuterungs-Berichtes … vom 3.1.1901“ in der Akte 108 Stadtarchiv Radeberg
Titel des „Erläuterungs-Berichtes … vom 3.1.1901“ in der Akte 108 Stadtarchiv Radeberg

In den Ausführungen wird darauf hingewiesen, dass dieses „Unternehmen der Anlage einer Straßenbahn vom Staatsbahnhofe Radeberg aus (…) anerkanntermaßen nicht nur ein einheitlicher Wunsch der Gesammtbevölkerung des vorbenannten schönen Landstriches, sondern sogar ein nicht abzuerkennendes Bedürfnis für die betriebsamen directen Anwohner in einer Gesamtzahl von ca. 16 000 Seelen darstellt.“ Obwohl das Für und Wider des Projektes von allen Seiten beurteilt und die Wirtschaftlichkeit auf Grund der damals noch bescheidenen Bevölkerungszahlen für solch eine Investition als fragwürdig eingeschätzt wurde, kam man dennoch zu dem Schluss, dem Antrag des Projektes fördernd und hilfreich entgegenzukommen, da „es in Folge durchaus zur Hebung der Industrie und der Grundwerthe und der Hebung des von ihr berührten Gemeinwesens beitrage“. 

Von Euphorie und Aufbruchstimmung bis zu ersten Bedenken

Die daraufhin erfolgten Untersuchungen und Berechnungen geben einen Einblick, wie viele Faktoren für dieses Projekt in Erwägung gezogen werden mussten. Die vorhandenen Radeberger Straßenbreiten für eine Gleisbahn wurden zum Teil von Anfang an als problematisch eingeschätzt, da sie nur Breiten von 8 bis 12 m aufwiesen. Das erwünschte Soll verlangte jedoch mindestens 8,25 m Gesamtbreite, davon 6,5 m Straße und 1,75 m Fußweg einseitig. 

Somit kam man zu den Schlussfolgerungen, dass bei der Mitbenutzung der vorhandenen Straßen die Wahl nur auf ein schmalspuriges Rillenschienengleis fallen konnte, da es vom Bahnhof Radeberg bis ans Ende von Liegau nur eine durchgehende Straße gab, die für eine Straßenbahnanlage in Frage kam. Die gesamte Straßenstrecke hatte eine Länge von 4,5 km Zugstrecke. Berechnet wurden vom Bahnhof aus die 285 m städtische Bahnhofstraße, 330 m fiskalische Dresdner Straße (dieser Abschnitt stand unter staatlicher Verwaltung), rechts abbiegend und weiterführend auf die 1.513,5 m lange Strecke innerhalb der Röder- und Pirnaer Straße, des Marktes, der Ober-, Bad- und Friedrichstraße, weiter 1.060 m innerhalb der Dorflage Lotzdorf und 1.150 m innerhalb der Flur und Dorflage von Liegau verlaufend. 

Gleisgebundene Pferdestraßenbahn; Stuttgart 1898. Foto: Wikimedia gem.-frei
Gleisgebundene Pferdestraßenbahn; Stuttgart 1898. Foto: Wikimedia gem.-frei

Für die bevorzugte Variante des Streckenverlaufes von der fiskalischen Dresdner Straße auf die Röderstraße – „Pirnaischestraße“, als Zuführung zum Markt und dessen diagonale Überquerung hatte man sich auf Grund der Berechnungen der Steigungswinkel entschieden, da der auf dieser Strecke niedriger war als die innerstädtische Variante von der städtischen „Dresdner Straße“ (heute Hauptstraße) geradeaus bis zum Markt. (4)

Die Anlage der Gleise brachte Planungsprobleme mit sich. Sie wurden auf Grund der schmalen Straßen nicht mittig geplant, sondern vom Bahnhof bis Lotzdorf links-, dann rechtsseitig verlaufend, und da die Straßen zum damaligen Zeitpunkt größtenteils noch unbefestigt waren, sollten die Fußwege an den Haltestellen erhöht, die Flächen zwischen den Schienen und je 0.5 m neben denselben mit Pflastersteinen verlegt werden

Die Röder-Querung im alten Zustand (grün) und nach dem Brücken-Neubau (rot) von 1934.  Die „Tal-M.“ ist die Lotzdorfer Rasenmühle.  Basiskarte: Meßtischblatt Sachsen Nr. 51 von 1902.
Die Röder-Querung im alten Zustand (grün) und nach dem Brücken-Neubau (rot) von 1934. Die „Tal-M.“ ist die Lotzdorfer Rasenmühle. Basiskarte: Meßtischblatt Sachsen Nr. 51 von 1902.

Als problematisch und damit auch kostenaufwendig wurde die Badstraße eingeschätzt, da sie in ihrem alten Zustand stellenweise zu schmal war und die Straßenbahnführung nur durch einen Grundstückszukauf realisiert werden konnte. Ebenso sah die Planung der Straßenführung in Lotzdorf kurz vor der alten Röderbrücke aus. Die Straße nach Liegau über die alte Brücke verlief damals anders, sie schwenkte vor der Röder in einer steilen Kurve nach rechts in den Fahrweg rechts der Röder Richtung Liegau, von dort aus verlief sie nach dem ersten bebauten Grundstück (heute Lotzdorfer Straße 60) wiederum in einer scharfen Links-Kurve auf einer Rampe zur alten Brücke (s. Karte grüne Linie). Dieser Bereich war unmöglich von einer Straßenbahn, egal welcher Bauart, befahrbar. Wegen der unzureichenden Breite, der Kurven und steilen Rampen war auch hier der Bau eines neuen und geraden Straßenabschnittes erforderlich, einschließlich einer neuen Röderbrücke mit einer gewölbten Spannweite von 13,50 m aus Beton. Die Kosten wurden mit 16.500 Mark angegeben, wobei auf die beiden Gemeinden Lotzdorf und Liegau zusammen 10.000 Mark veranschlagt wurden. Mit dem Ende des Straßenbahn-Projektes waren auch die Straßen-Verlegung und der Brückenbau ad acta gelegt worden. Erst 1933/34 ist der mit umfangreichen Grundstücks-Ausgleichsmaßnahmen verbundene Neubau der Brücke und Straßen-Anbindungen realisiert worden.(5)

Tierische Zugkraft oder elektrische Energie als Motor?

Diese Frage und die ihr folgende Entscheidungsfindung des Radeberger Stadtrates war der Zeit um 1900 geschuldet, auch wenn sie aus heutiger Sicht mit unserem jetzigen Wissen um die weitere Entwicklung des Energieträgers des 20. Jahrhunderts, der Elektrizität, als kurzsichtig eingeschätzt werden muss.

Das Energieproblem für den Antrieb der Straßenbahn wurde zur Frage aller Fragen im Stadtrat und füllte die Akte - die Stadt besaß für ihre Energieleistungen zwar eine städtische Gasanstalt, eine damalige technologische Errungenschaft, aber noch kein Elektrizitätswerk, also keinen elektrischen Stromerzeuger. Alles wurde nur über Gasmotoren betrieben, von den Gasleuchten im öffentlichen und privaten Raum bis hin zu Industriemotoren. Als am 1. Nov. 1899 der Stadtrat zwar bereits den Beschluss zur Genehmigung des Straßenbahnbaues erließ, war zu diesem Zeitpunkt jedoch immer noch unklar, in welcher Form die Betreibung überhaupt erfolgen sollte. Zur Diskussion standen Pferdestärke, Gasmotoren oder die damals neue Technologie der Elektrizität. Für letztere waren jedoch bisher noch keine Voraussetzung geschaffen, denn die Nutzung der Elektrizität als Energiepotential befand sich um 1900 noch allgemein in den Kinderschuhen. Zahlreiche Projektanten traten in Erscheinung, die der Stadt mit dem Straßenbahnprojekt gleichzeitig zukunftsweisend den Bau eines Elektrizitätswerkes offerierten. Aber da die Stadt bisher ihren gesamten Energiebedarf, ob für private Haushalte, städtische Einrichtungen oder Industriebetriebe, nur über das Gaswerk Radeberg absicherte, sah man keine zwingende Notwendigkeit für den Bau einer elektrischen Kraftstation, wie sie überall nach und nach Einzug hielt, wo man weitsichtiger in die Zukunft dachte. Denn der Elektrizität sollte die Zukunft gehören, sie veränderte das Leben im 20. Jahrhundert grundlegend.

Aber in dieser Übergangszeit des mobilen Aufbruchs um 1900 wurde als die preisgünstigste Variante, um etwas zu bewegen oder zu transportieren, immer noch die „Pferdestärke“ (PS) gesehen – also fiel die vorläufige Wahl der Antriebskraft für die geplante Straßenbahn letztendlich auf das Pferd. Die Pferdeeisenbahn, wie man sie nannte, da sie auch auf Schienen bewegt wurde, erschien mit ihrer tierischen Zugkraft vorerst als die geeignete Form, durch die es auch ermöglicht werden sollte, Baukosten und Fahrpreise in Radeberg niedrig zu halten. 

Der Stadtrat und auch der ansonsten sehr weitsichtig planende Bürgermeister Otto Bauer erkannten damals noch nicht die Zeichen der neuen Zeit und beharrten weiterhin auf dem Einsatz von Gasmotorwagen, falls man sich nicht für die Pferdeeisenbahn entscheiden sollte. Wobei immer noch offenblieb, ob das Gaswerk überhaupt die zusätzlichen Leistungen für den Straßenbahnbetrieb erbringen konnte.

Ökonomie entschied für „Pferdeeisenbahn“

Die vorerst abschließende Rentabilitätsberechnung sollte schließlich den Ausschlag für die Entscheidung des Einsatzes einer „Pferdeeisenbahn“ geben. Man ging jährlich von 150.000 Fahrgästen aus und dem Einsatz von je 3 Sommer- und Winterpersonenwagen zu je 14 Sitz- und 8 Stehplätzen bei täglich 330 km Fahrweg und damit erbrachten jährlichen 119.000 Wagenkilometern. Das erschien zu diesem Zeitpunkt „als zu wenig für die Anschaffung einer elektrischen Straßenbahnanlage“, für die als Berechnungsgrundlage mindestens 500.000 Wagenkilometer als rentabel angesehen wurden. Als rentabler wurden 10 Paar Pferde im Wechsel vorgeschlagen, je 1 Paar für einen Wagen, mit Ruhezeiten aller drei Tage in den Stallungen. Durch die Betriebsleistung der Pferde konnten die Fahrten vom Bahnhof bis Markt mit 10 Pfennigen veranschlagt werden, bis Lotzdorf Mitte mit 20 Pfennigen und bis Liegau Röderbrücke mit 30 Pfennigen. Es waren auf der Strecke 15 Haltestellen vorgesehen mit 7 Ausweichstellen, und die Fahrt sollte 36 Minuten vom Bahnhof Radeberg bis Liegau Rödertalbrücke / Kurhausstraße dauern.  

Fortschritt lässt sich nicht aufhalten – nur verzögern

Jegliche Planungen, die sich über zu lange Zeiträume mit Erörterungen und Bedenken hinziehen, werden nur allzu oft von den weiteren Entwicklungen ihrer schnelllebigen Zeit überholt. Eines Tages sind sie in ihren Schubladen einfach veraltet. So erging es auch der geplanten „Pferdeeisenbahn“ Radebergs. Während noch über dieses Pferdeprojekt nachgedacht und debattiert wurde, hatte sich bereits allgemein um 1900 der Übergang vom Pferdebahnbetrieb zum elektrischen Betrieb vollzogen. Die meisten Städte, wie Chemnitz, Dresden, Zwickau und Leipzig hatten sich von ihren Pferdebahnen längst verabschiedet und waren zu Betreibern elektrischer Straßenbahnen geworden

Abbildung:
Die gleisloseelektrische Oberleitungsbahn“ in Eberswalde 1901, wie sie dem Radeberger Stadtrat empfohlen wurde. Zu beachten ist die sehr hoch angebrachte Oberleitung mit einem elektrisch angetriebenen gesonderten „Stromabnehmer-Wagen“ (rechts oben) nach dem System Lombard-Gérin.    

Foto: Wikimedia gem.-frei

Fortschritt durch Elektrizität, die das Leben verändern sollte

Am 1. Mai 1901 informierte ein Dresdner Ingenieurbüro den Radeberger Stadtrat über die Neuheit einer gleislosen, elektrischen Oberleitungsbahn in Eberswalde und bot dafür gleichzeitig seine Projektierungsdienste an. Die neuen Technologien, wie die Elektrizität, ermöglichten jetzt mit elektrischen Oberleitungen Verkehrsmittel, die ohne die Verlegung aufwendiger und teurer Gleisanlagen („gleislose Bahnen“) mit viel größerer Beweglichkeit auf den Straßen eingesetzt werden konnten. Der Anbieter empfahl dem Stadtrat als günstigste Variante eine gleislose Bahn, deren Strombedarf mittels einer „Oberleitung“ von einem städtischen Elektrizitätswerk gespeist werden sollte, welches gleichzeitig auch zusätzlich die Versorgung der gesamten Stadt mit Licht und Kraftstrom absichern konnte. Dadurch wäre Radeberg für alle Bereiche auf einen Schlag „modern“ ausgerüstet gewesen. Als Antriebsmaschinen für das Elektrizitätswerk wurden Gasmaschinen empfohlen, die mit dem Gas aus der städtischen Gasanstalt auch deren Einnahmen vergrößert hätten.

Ein erstes Umdenken des Radeberger Stadtrates ist aus einer Mitteilung vom 2. Juli 1901 an das „Königl. Kommissariat für electrische Bahnen“ ersichtlich, mit der Bitte zur Umstellung des Straßenbahnprojektes von Pferde- auf elektrischen Betrieb und zur Erteilung der Konzession zum Bau. Aus Kostengründen sollte zunächst der erste Streckenabschnitt vom Bahnhof bis Lotzdorf - Karlstraße realisiert werden. Die Rentabilität für diese Variante wurde durch die Stadtverantwortlichen damit begründet, dass auf dieser Strecke „(…) durch Hinzunahme eines von Interessenten gewünschten Güterverkehrs“ eine Auslastung der Bahn erfolgen würde. Daraufhin wurden Bürgermeister und Vertreter des Stadtrates in das Königl. Finanzministerium Dresden zu einer Zusammenkunft mit dem „Königl. Kommissar für elektrische Bahnen“ geladen, der ein „Gespräch zur Bahn“ (6) wünschte und der auch die Rentabilität des Vorhabens an Hand des Bevölkerungswachstums überprüfen ließ. Von 1895 bis 1900 war die Einwohnerzahl in Radeberg von 10.294 auf 12.894 (+ 25%) angestiegen, die von Lotzdorf von 1.282 auf 1.445 (+ 12,7%) und von Liegau von 560 auf 570. (7)

Das angedachte Projekt wurde erneuten Prüfungen unterzogen und dem Radeberger Stadtrat als Zwischenbescheid in einem Schriftstück mitgeteilt, „(…) dass die Vorarbeiten noch der Prüfung der Königl. Behörden unterliegen, wobei als erstes wesentliches Erfordernis der Nachweis für das Vorhandensein der zu einem electrischen Betrieb der Bahn notwendigen electrischen Kraft geltend gemacht werden, ob für eine Bahn electrischen Anschlusses mit Schienenführung, wie für eine solche ohne dieselbe („gleislose Bahn“). Voraussetzung und erforderlich wird eine ‚Electrische Licht und Kraft-Centrale für Radeberg und Umgebung‘ “. Also ein ganz folgerichtiges Erfordernis: Bevor die gewünschte Straßenbahnanlage genehmigt und gebaut werden sollte, musste die Voraussetzung für deren Betrieb, die elektrische Kraftstation, abgesichert sein…

Der Elektrizität gehörte die Zukunft, da sie sich auch bald über große Entfernungen an Verbraucher transportieren ließ. Ihre zukunftsweisenden Vorteile wurden jedoch von den Stadtverantwortlichen zu dieser Zeit noch nicht erkannt, sondern sie standen „als Stadtvertretung der Rentabilität pessimistisch gegenüber.“ (8) Kurzsichtig hielten sie weiterhin nur an ihrer Gasanstalt mit örtlicher Gasversorgung fest. Ein Stadtratsbeschluss vom 14. Jan.1902 bestätigt das: „Wegen der zu befürchtenden Nachteile für die Städtische Gasanstalt wird vorerst von der Unterredung über die Errichtung eines Elektrizitätswerkes abgesehen“.

Ohne Strom keine Straßenbahn…

Damit wurde letztendlich auch von der Realisierung der Straßenbahn abgesehen, mit oder ohne Schienen. Das gesamte Projekt, über mehrere Jahre geplant, verlief wie ein schöner Traum im Sand. Ein letztes Schreiben des Projektierungsbüros aus Dresden aus dem Jahr 1902 erscheint fast wie ein Hilferuf: „Der Nachweis, woher der Strom kommen soll, fehlt bisher. Es gibt keine Electrische Licht und Kraft-Centrale für Radeberg und Umgebung“. Das sollte auch noch lange so bleiben.

 

Der Weg zu einer einheitlichen und öffentlichen Stromversorgung in Radeberg und Umgebung war lang. Vorerst waren nur einzelne private Aktivitäten zu verzeichnen. So stellte bereits 1892 der Glasfabrikant Max Hirsch (1851-1931) einen Antrag an die Stadt, da er für sein Villengelände ein eigenes Elektrizitätswerk bauen lassen wollte. Sein Antrag galt der Versorgung mit Licht- und Kraftstrom für die Installation einer elektrischen Beleuchtungsanlage, „(…) dieselbe speist bei mir 54 Glühbirnen a 16 Kerzen in Kronleuchtern und anderen Lampen“. 

Abbildung:

Die gleislose „elektrische Oberleitungsbahn“ Königstein –
Königsbrunn („Bielatalbahn“, Sächsische Schweiz) 1901 mit moderneren Stromabnehmern nach dem System Schiemann. Betriebsspannung:  500 Volt.
Auf dem Bild Motorwagen Nr. 2 mit Gepäckanhänger.
Foto: Wikimedia gem.-frei

Die Kommission der Stadt Radeberg, die diesen Antrag zu begutachten hatte, soll in nicht geringe Aufregung versetzt worden sein, bevor sie die Genehmigung erteilte. (9)

Zu den Pionieren der Stromerzeugung in Radeberg gehörte auch der Karosseriebauer Emil Heuer, der seinen Betrieb um 1905 mit einer „Locomobile zur Stromerzeugung“ ausstatten ließ, aber auch der Ingenieur Arthur Seidemann in Liegau, der mit seinem 1910 in Betrieb genommenen Elektrizitätswerk in der „Weißen Mühle“ (das spätere Gummiwerk Liegau), über Turbinen die Wasserkraft für die Stromerzeugung nutzte. Mit dem erzeugten Licht- und Kraftstrom versorgte er bereits ab 1910 Liegau und ganz Lotzdorf mit dem verlängerten „Scharfen Zacken“, der Friedrichstraße bis zur Einmündung Weststraße. (10)

Erst in der Zeit von 1925 bis 1936 erfolgte die Genehmigung zum „Bau der elektrischen Leitungen der Stadtgemeinde Radeberg“ (11), die dann mit Kabelanlagen (überwiegend Freileitungen) an das Stromnetz angeschlossen wurden - für die einstige geplante Straßenbahnanlage um 1900 kam diese Entwicklung selbstverständlich längst viel zu spät… 

 

Renate Schönfuß-Krause

März 2021

 


Quellen / Anmerkungen:

  1.  Museum Schloss Klippenstein: Collage Verlag Paul Zimmermann, Radeberg, Hauptstr.6
  2.  Radeberger Adressbuch 1896: Radeberg besaß 11 Droschken - Fuhrwerksbesitzer
  3.  Stadtarchiv Radeberg: Nr.108, Akte des Stadtrates zu Radeberg, die Straßenbahn betr., Ergangen 1899-1903, I. Abschn. IV. Nr. 25;
  4.  Ebenda: Akte Nr.108, II. Neigungsverhältnisse, Steigung innerstädtisch 13,8 m, Röderstraße - Dresdner Str.- Rathaus 430m = Ø 3,2, Röderstraße, Röderstraße - Pirnaische Str. - Rathaus 660 m = 2,1;
  5.  Radeberger Zeitung und Tageblatt.  Nr. 85/1934 vom 12.4.1934. Seite 2
  6.  Stadtarchiv Radeberg: Akte Nr.108,  Schrb. 13.12.1900;
  7.  Ebenda: Königl. Finanzministerium 16.12.1900;
  8.  Ebenda: Angebot Firma Körting an Stadtrat, 5. Febr. 1902;
  9.  Prof. Dr.-Ing. habil Peter Schmutzler: „Radeberger Blätter zur Stadtgeschichte“, 03, 2005, Seite 70;
  10.  Wilfried Lumpe: „Radeberger Blätter zur Stadtgeschichte“, 07, 2009, Seite 45;
  11.  Sächsisches Staatsarchiv, 10933 Straßenbauamt Dresden, 05 Stromleitungen Radeberg;

 

 


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