Die "besseren Leut'"

Eine Radeberger Begebenheit um das Jahr 1925 und der geschichtliche Hintergrund der Brauerei Börner (1886-1945)

Dieser Artikel ist im Zusammenhang mit der Eröffnung der Industrie-Ausstellung der Stadt Radeberg im April 2015 entstanden, darauf bezieht sich die von der Redaktion der Heimatzeitung "die Radeberger" vorangestellte Einführung.

Max Börner und Hedwig Börner (Mitte) mit der Belegschaft ihrer Brauerei, ca. 1920
Max Börner und Hedwig Börner (Mitte) mit der Belegschaft ihrer Brauerei, ca. 1920

Vergesst auch die „Kleineren“ nicht!

 

Eine Einführung zur Industrie-Ausstellung Radeberg im Schloß Klippenstein,

besonders zur Geschichte der Brauerei Börner Radeberg

 

Ein Rundgang durch die neueröffnete Ausstellung „Industriegeschichte der Stadt Radeberg“ dokumentiert anschaulich, wie sich Radeberg, im Zuge der Industriealisierung ab ca.1870, zu einem bedeutenden Industriestandort in Sachsen entwickelt hatte. Das wurde parallel zu der Ausstellungseröffnung ebenfalls durch die Vertreter der AG Stadtgeschichte Radeberg hervorgehoben. Bernd Rieprich und Dietrich Mauerhoff agierten an diesem Eröffnungswochenende mit ihrer hochinteressanten Vortragsreihe zu diesem Thema im Schloss Klippenstein und begleiteten auch durch die Ausstellung. Beide sind gefragte Experten, wenn es um Vermittlung exakt recherchierter Zeitgeschichte geht, um Stadtentwicklung und um die Entstehung bekannter Familienunternehmen in Radeberg. Sie zeigten in ihren Vorträgen anschaulich auf, wie fast alle Gründer-Persönlichkeiten als sogenannte „Auswärtige“ nach Radeberg kamen, ganz klein und bescheiden in Hinterhof-Werkstätten mit ihrer Produktion begannen, nach ersten Erfolgen die Erweiterungen ihrer kleinen Betriebe vornahmen, bis sie den Schritt wagten, größere Expansionspläne zu verwirklichen. Innerhalb kürzester Zeit wurde es ihnen möglich, durch kluges Wirtschaften, zumeist auch unter Einbeziehung der gesamten Familie, eine Betriebsvergrößerung vorzunehmen und mit einem gesunden Wachstum zum Großunternehmen aufzusteigen. Erfolgsgeschichten, die zumeist mit der Bescheidenheit ihrer Gründer einhergingen, die nur das Kapital für Erweiterungen einsetzten, das sie auch erarbeitet hatten. Eine Geschichtslektion, über die heute schon wieder nachgedacht werden sollte! Dass diese Großunternehmen bei wachsendem Erfolg und Absatz dann in der Lage waren, viele neue Arbeitsplätze zu schaffen und auch für ihre zumeist hochqualifizierten Arbeiter soziale Erleichterungen bieten konnten, machte Radeberg als Industriestandort immer attraktiver. Die hochwertigen Produkte, ob in der Glasindustrie, im Karosseriebau der Fa. Heuer/Gläser, in der Möbelindustrie der Fa. Köckritz u.v.a. waren in der ganzen Welt gefragt. Damit wurde auch der Name der Stadt Radeberg bekannt gemacht. Mit ihren Erfolgskonzepten, verbunden mit der erforderlichen Risikobereitschaft, leisteten diese Gründer-Persönlichkeiten den entscheidenden Beitrag zur Entwicklung und Erweiterung unserer Stadt.

 

Viele Besucher der neugeschaffenen Ausstellung im Schloss Klippenstein sind sich darüber einig, dass mit dieser ansprechenden Dokumentation ein wichtiger Beitrag zur Radeberger Industriegeschichte geschaffen wurde. Ein Beitrag, mit dem auch für nachfolgende Generationen Geschichte unserer Stadt anschaulich vermittelt wird, gerade auch deshalb, weil vieles teilweise schon nicht mehr sichtbar ist. Man ist geneigt, die Ausstellung durchaus unter dem Goethe-Zitat zu betrachten: „Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen“.

 

Radeberg und die Radeberger können mit Recht stolz auf dieses gelungene „Endprodukt“ sein.

 

Brauerei Börner in Radeberg, Mühlstraße 2, um 1906
Brauerei Börner in Radeberg, Mühlstraße 2, um 1906

Unter den Besuchern der Ausstellung treffen wir auch auf die gebürtige Radebergerin Renate Schönfuß-Krause, die ebenfalls sehr beeindruckt von der Dokumentation ist und des Lobes voll für die Initiatoren, aber auch für die freiwilligen unermüdlichen Helfer der AG Stadtgeschichte Radeberg. Historisch interessiert und von Haus aus auch in diese Richtung vorbelastet, ist sie selbst seit kurzem Mitglied in der AG Stadtgeschichte geworden. Gleichzeitig arbeitet sie jedoch schon seit vielen Jahren engagiert in der AMF „Arbeitsgemeinschaft für mitteldeutsche Familienforschung / Arbeitskreis Altenburger Land“ in Thüringen. In dieser Region kann sie auf eine ganze Reihe vielbeachteter Veröffentlichungen verweisen, die Themen und Forschungsarbeiten zu berühmten historischen Persönlichkeiten und Familienverbindungen beinhalten und auch schon Eingang in das Sächsische Staatsarchiv Leipzig gefunden haben.

Lage der Brauerei Börner im Stadtplan Radeberg 1905 (gelbe Markierung rechts)
Lage der Brauerei Börner im Stadtplan Radeberg 1905 (gelbe Markierung rechts)

Sie vermisste nur eines bei der neu eröffneten Ausstellung, was aber verständlicherweise auf die begrenzte Platzkapazität des Schlosses zurückzuführen ist: dass viele, aber ebenfalls für das Radeberger Gesamtbild wichtige, kleinere ehemalige Betriebe in der Dokumentation aus Platzgründen weggelassen werden mussten. So z.B. die Erinnerung an die Brauerei Börner auf der Mühlstraße, ein Thema, das sie z. Zt. erforscht. Denn diese „Kleinen-Großen“, ob nun Betriebe, Familienschicksale, Außenseiter, Originale, Vergessene, sind eines ihrer ganz speziellen Lieblingsthemen. Sie beschäftigt sich gern mit den alltäglichen, manchmal auch originellen oder aber tragischen Geschichten, „denn dadurch wird eine Art anschaulicher Geschichtsunterricht vermittelt, Schicksale, die den Leser interessieren und auch manchen langweiligen Geschichtsunterricht in den Schulen aufpeppen würden. Jeder erinnert sich an die Qual seiner Schulzeit und die Forderung, ellenlange Reihen von Jahreszahlen und dazugehörige, für einen selbst nicht viel aussagende Ereignisse zu pauken - aber wie viel einfacher, einprägsamer und anschaulicher wäre es, seinen Großvater oder Ur-Großvater mit seinen Lebensumständen in dieser jeweiligen Zeit zu finden und zu erforschen? Damit würde und wird Geschichte interessant, lebendig und begreifbar, aber was noch wichtiger ist, auch vergleichbar mit dem Hier und Jetzt“, so die Einschätzung der Hobby-Historikerin.

 

Neben ihrer derzeitigen exakten Erforschung der Historie der ehemaligen Brauerei Börner und deren Gründerfamilie, ist als eine Art „liebenswertes Nebenprodukt“ eine kleine heitere, jedoch durchaus auch zum Nachdenken anregende Geschichte zu dieser Familie Börner und ihrem Schicksal entstanden, deren Abdruck wir hiermit beginnen. Diese Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit, die noch heute bei den Nachkommen der ehemaligen Gärtnerfamilie Wirtgen überliefert ist. Der nachfolgende „Geschichtliche Nachtrag“ zeigt anschaulich, wie schnell aus sogenannten „besseren Leut‘ “, ohne eigenes Verschulden, auch „arme Leut‘ “ werden können und wie tief gesellschaftliche Wandlungen in das Leben der Menschen eingreifen können.

 

Mai 2015                                            Text: Redaktion "die Radeberger" in Zusammenarbeit

                                                                                                        mit Renate Schönfuß-Krause

Die „besseren Leut‘ “

Eine Radeberger Begebenheit um das Jahr 1925

und der geschichtliche Hintergrund der Brauerei Börner (1886-1945)

 

 Ein Tag im April. Wunderschönes Wetter kündigt sich an diesem Morgen an und trägt mit dazu bei, auch die Stimmung der Geschäftsinhaberin des Blumengeschäftes am Friedhof in Radeberg in Hochstimmung zu versetzen. Olga Wirtgen, die fleißige und arbeitsame Gärtners- und Geschäftsfrau, die zusammen mit ihrem Ehemann Bruno den gleichnamigen Gartenbaubetrieb Wirtgen innehat, sieht an diesem Morgen schon in Gedanken prächtigen Geschäften entgegen. Denn, solch sonnige Frühlingstage sind dazu angetan, selbst den hartgesottensten Mitbürger dazu zu verführen, tiefer in die Tasche zu greifen und seinem lieben Verstorbenen eine Grabbepflanzung angedeihen zu lassen oder einen Blumengruß auf das Grab zu legen. Oft natürlich auch nur „wegen der Leute“, um „vor den Leuten“ gut dazustehen. Aber egal, bei diesem Wetter bahnt sich mit Sicherheit ein Tag für gute Geschäfte an.

Olga Wirtgen beeilt sich deshalb beflissen, die in ihren Gewächshäusern in den letzten Monaten mühselig gezogenen Pflanzen und die dazugehörige Blumenpracht verkaufswirksam im Freien, vor ihrem Geschäft auf der Friedhofsstraße, aufzubauen und zu präsentieren. Und, sie kann nicht umhin, ihre Arbeit und die Freude am eigenen Schaffen mit dem Summen eines kleinen Liedchens zu untermalen. Der Tag ist schön, die Welt ist schön – was will der Mensch mehr?

Diese fröhliche Stimmung erstirbt in ihr jedoch jäh, als ihr Blick zwischen ihrer Geschäftigkeit auf die stadteinwärts gelegene Straßenbiegung der Friedhofsstraße fällt, in die gerade zwei etwas skurril wirkende Personen in Richtung ihres Geschäftes einbiegen. Schnell wird ihr bewusst: Dieser Morgen wird etwas komplizierter werden als gedacht – zwei schwierige Kundinnen sind im Anmarsch. Es handelt sich um „die Börners“: Hedwig, die Gattin des Brauereibesitzers Max Börner von der Mühlstraße, und ihre Tochter Irmchen. Börners Brauerei auf der Mühlstraße wird von den Radebergern gern mit dem Spitznamen „Plempen-Börner“ tituliert, was mit der obergärigen Herstellungsweise des in dieser Brauerei produzierten Einfachbieres zu tun hatte. Dieses Einfachbier hielt sich vor allem in den wärmeren Sommermonaten nicht lange. Ungenügende Kühlung verursachte einen Grad der Trübung, der schnell zu einer flockigen, ungenießbaren „Plempe“, wie es die sächsische Bevölkerung zu titulieren pflegte, führen konnte.

Jedoch, das interessiert Mutter Börner und ihre Tochter im Moment nicht. Sie sind sich ihrer würdigen Stellung in Radeberg als Vertreterinnen einer Brauereibesitzer-Familie durchaus bewusst und nähern sich deshalb mit zierlichen Trippelschritten ihrem Ziel, dem Blumengeschäft und der bedauernswerten Olga Wirtgen. Diese ahnt schon im Vorfeld ihrer sämtlichen in Aktion zu bringenden Verkaufsaktivitäten, was in der nächsten Stunde an Nervenkrieg auf sie zukommen könnte.

Aber die kluge Geschäftsfrau lächelt selbstverständlich, als sie ihre Kundinnen begrüßt. Die beiden Börners wirken auf eine befremdende und eigenwillige Art etwas verstaubt und schrullig und erscheinen in ihrem offensichtlichen Bemühen, die Damen von Welt herauszustellen, schon fast etwas kurios. Diese Betrachtungen behält die Geschäftsfrau jedoch lieber für sich. Geschäft ist schließlich Geschäft, auch wenn es vorerst mit diesem nichts werden wird, denn die Prinzipalin, Frau Hedwig Börner, ist wählerisch. Sie selbst sieht sich mit hohen Ansprüchen an das Leben ausgezeichnet, und Tochter Irmchen imitiert das Gehabe der Frau Mama nach allen Kräften - früh übt sich, wer von Geburt an dazu auserkoren wurde, selbst einmal in gehobenere Kreise aufzusteigen. Man fühlt sich auserwählt und trägt das auch zur Schau. Ein Leitsatz dieser weit verbreiteten kleinbürgerlichen Dünkelhaftigkeit ist dabei immer: „Wir sind wer, die anderen sind ein Nichts, also gib dich niemals mit der niedrigeren Kaste des dienstbaren Personals ab“.

Frau Olga Wirtgen, als Fachfrau, wird also geflissentlich „übersehen“ und in keinster Weise in die ausgiebigen Erörterungen der Pflanzenauswahl und ihrer verschiedensten Gestaltungsmöglichkeiten als Grabbepflanzung einbezogen. Die Börners hatten, in Vorausschau und Erwartung der eigenen Ewigkeit, für Ihre Vorfahren und sich selbst eine recht monumentale Grabstätte mit einer Gruft an der unteren Friedhofsmauer errichten lassen. Schließlich gehörte man zur gehobenen Schicht der Bevölkerung Radebergs. Ansehen verpflichtet. Auch damit konnte und wollte man dokumentieren, wer man war bzw. für wen man sich selbst hielt.

Olga Wirtgen wusste um all diese Spielregeln. Sie verkniff sich ein wissendes Lächeln, denn sie dachte daran, dass da unten letztendlich alle gleich waren...

So zog es die kluge Geschäftsfrau erst einmal vor, sich bis auf weiteres diskret hinter ihrer Blumenpracht zurückzuziehen. Natürlich ohne jedoch die Kundinnen aus den Augen zu verlieren, um in geeigneterem Moment mit Rat und Tat zur Seite stehen zu können. Sie war auch durch das aufgesetzte Gehabe der Börners nicht zu beeindrucken. Wie oft hatte sie es schon erlebt, dass die Damen der vermeintlich gehobenen Gesellschaft Radebergs, die gar nicht wussten, wie hoch sie ihre Nasen vor zur Schau gestellter Feinheit tragen sollten, und die auch ständig danach trachteten, sich gegenseitig zu übertrumpfen, letztendlich bei ihr im Geschäft zum Bezahlen ihrer Blumengestecke standen und mit gespieltem Erstaunen in ihrer Handtasche nach der angeblich vergessenen Geldbörse suchten. Da musste dann nur allzu oft die noch anstehende und unerledigte Rechnung angeschrieben werden... Nichts mit „Feine Leute“.

Und, da Radeberg ein besseres Dorf ist, kennt selbstverständlich ein jeder jeden, und jeder kennt auch die Geschichten seiner Mitbürger nur zu gut. Hinter den hohlen, zum größten Teil aufgesetzten Fassaden einer kleinbürgerlichen Idylle brodeln, wie überall, Abgründe. War da nicht mal die Rede von dem Brauereigründer Hermann Börner, nur hinter vorgehaltener Hand natürlich, dass sich seine Ehefrau Auguste damals von ihrem Mann wegen häuslicher Gewalt scheiden lassen wollte? Erst durch die Einflussnahme des Pfarrers, und als dem Paar später fünf Kinder geboren wurden, schien sich die eheliche Lage normalisiert zu haben? Man kennt sich in dieser Kleinstadt eben über Generationen.

Während Olga Wirtgen sich, in der momentanen Situation nicht ganz ohne Genuss, diesen intimeren Betrachtungen über die Abstammung ihrer Kundschaft hingibt, beraten und wählen die zwei Börners hin und her, welche Grabbepflanzung mit welcher Blume und Farbe die geeignetere wäre. Unendliches Palaver. Und wie schon zu erwarten war, kommen sie zu keinem Ergebnis. Olga Wirtgen stöhnt innerlich genervt: So schöne Ware, so gute Preise, so viel Arbeit, die in jeder Pflanze steckt...

Aus diesen Betrachtungen schreckt sie unvermittelt die hochgeschraubte Stimme von Hedwig Börner auf, die nun ihre Tochter auffordert: „Irmchen, geh doch mal auf dem Friedhof nachschauen, was die anderen besseren Leut‘ auf ihre Grabstellen gepflanzt haben“.

Olga Wirtgen kann endlich aufatmen. Sie weiß, die nächste Phase beginnt – die „besseren Leute“ orientieren sich an den Grabstellen der anderen besseren Leute, und es besteht für die Gärtnersfrau die berechtigte Hoffnung, an diesem Tag doch noch zu einem Geschäftsabschluss mit den „besseren Leut‘ Börners“ zu kommen.

Geschichtlicher Nachtrag:

Die ehemalige Grabanlage (Gruft) der Familie Börner auf dem Friedhof Radeberg, Mauer Ost
Die ehemalige Grabanlage (Gruft) der Familie Börner auf dem Friedhof Radeberg, Mauer Ost

 

Das Grabmal der Besitzer der Brauerei Börner, einst von ihnen „für die Ewigkeit“ und für ihre Nachfahren als eindrucksvolles Monument aus schwarzem Granit mit Familiengruft konzipiert und erbaut, hatte die Ortsbezeichnung „Mauer Ost rechts Nr.17“ auf der Radeberger Friedhofsanlage. Die kulturhistorisch wertvolle Grabgestaltung dieses Familiengrabes über drei Generationen ist heute leider nicht mehr vorhanden, da die Familienlinie nach dem Ableben der beiden unverheirateten Kinder, des Sohnes Alfred Herbert Börner, genannt Herdy (1906 Radeberg – 1971 Radeberg) und der Tochter Charlotte Irmgard Börner, genannt Irmchen (1908 Radeberg - 1987 Liegau-Augustusbad), nicht weiterbestand. Ihr einstiger Stolz, das Privileg einer Familien-Grabanlage für sie als sogenannte „bessere Leut‘“, wurde zu einer Gemeinschaftsgrabanlage gewandelt. Die Zeiten haben sich geändert, mit ihnen die Ansichten und die Wertvorstellungen. 

Die „Brauerei Börner“ wurde von dem ehemaligen Schankwirt Hermann Börner (1845 Niederschöna – 1922 Radeberg) und seiner Ehefrau Auguste, geb. Hempel (1850 Kleinwolmsdorf - 1918 Radeberg) im Jahre 1886 auf der Mühlstraße, Eckgrundstück zur Einmündung Oststraße, gegründet. Am 1.Oktober 1906 ging die Brauerei in den Besitz des Sohnes Hugo Max Börner (1876 Kleinwolmsdorf – 1946 Radeberg) über. Er führte diese mit Erfolg mit seiner Ehefrau Hedwig, geb. Schneider (1877 Wallroda - 1958 Radeberg), bis zur Betriebsaufgabe im Jahr 1945. Trotz der etwas spöttischen Bezeichnung für das hergestellte Einfachbier als „Börners Plempen-Bier“, soll sich das Produkt in Radeberg und Umgebung allgemeiner Beliebtheit erfreut haben, was auch die überlieferten Angaben zu Produktionsmengen bestätigen (1905 z.B. 5.000 Hektoliter, das entspricht etwa 3.200 Halbliter-Flaschen pro Tag!).

 

Gaststätten-Werbeschild der Brauerei Böener, ca. 35 cm breit; Hersteller: Plakatfabrik Dresden-Laubegast;  ca, 1920
Gaststätten-Werbeschild der Brauerei Böener, ca. 35 cm breit; Hersteller: Plakatfabrik Dresden-Laubegast; ca, 1920

Vor genau 70 Jahren veränderte sich das Leben vieler Menschen grundlegend, auch das der Familie Börner. Mit Beendigung des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1945, wurde das Land Sachsen Teil der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Mit diesem Neubeginn übernahm in der SBZ die „Sowjetischen Militäradministration in Deutschland“ (SMAD) die Regierungsgewalt. Eine neue Zeit brach an. Es kam zu einer radikalen Umwandlung der Besitzverhältnisse an Produktionsmitteln, die eine vollständige Veränderung der Strukturen zum Inhalt hatte. Kraft der sowjetischen Besatzungsmacht und neu geschaffener Verordnungen und Gesetze (die Befehle der SMAD hatten Gesetzeskraft) wurden in der Folgezeit die Eigentumsverhältnisse radikal verändert. Es wurde möglich, mit sofortiger Wirkung sämtliche Bankkonten und Sparguthaben stillzulegen, ehemalige Fürstenhäuser und Großgrundbesitzer ersatzlos zu enteignen und diesen Landbesitz entweder zu verstaatlichen oder im Rahmen der Durchführung der Bodenreform an landlose Bauern, Landarbeiter oder Flüchtlinge zu vergeben. Nach sowjetischem Vorbild begann ein Kampf gegen jegliches Privateigentum an Produktionsmitteln. Durchgesetzt wurde dieses Ziel mit Demontagewellen von Produktionsbetrieben und auch entschädigungsloser Übergabe von Betrieben und Unternehmen in die sogenannte „Hand des Volkes“. Schließlich wurde mit der 1948 durchgeführten Währungsreform die weitgehende Enteignung des Geldwertbesitzes vorgenommen – eine Umwertung aller Guthaben im Verhältnis 10:1 erfolgte.

Die Bier-Auslieferung erfolgte mit Pferdefuhrwerken (Bild ca. 1910)
Die Bier-Auslieferung erfolgte mit Pferdefuhrwerken (Bild ca. 1910)

 

Auch die bisherige Verfügungsberechtigung über eigenen Wohnraum wurde eingeschränkt. Mit Hilfe der neuen „Staatlichen Wohnraumlenkung“ setzten die Stadtverwaltungen eine gesetzlich angeordnete Beschränkung des Wohneigentums durch. Von nun an wurde festgelegt, wie viel Wohnraum jedem einzelnen Bürger zugestanden wurde. Damit war es aber andererseits auch möglich, denjenigen Bevölkerungsschichten einen Wohnraum zu garantieren, die durch Krieg, Flucht und Vertreibung total verarmt waren und einen Neuanfang suchten. Außer der Aufbruchsstimmung nach 1945 für einen Neuanfang, besonders bei jungen Leuten, war diese Nachkriegszeit gekennzeichnet von einem unermesslichen Hunger der Bevölkerung, die um das tägliche Überleben kämpfte und unter der Angst vor Übergriffen, Arbeitsplatzverlusten, Denunziationen, Verhaftungen, Enteignungen litt.

 

Mit den SMAD-Befehlen Nr. 124 und 126 vom Oktober 1945 wurden Betriebe und Unternehmen, deren Besitzer oder Inhaber unter dem berechtigten oder auch unberechtigten Generalverdacht der Nähe zum Nationalsozialistischen System oder zu Kriegsverbrechen standen, unter die Zwangsverwaltung der Landes- und Provinzial-Dienststellen gestellt. Demokratisch legitimiert wurde das 8 Monate später mit dem Volksentscheid vom 30. Juni 1946 in Sachsen, der diese Zwangsverwaltung in Enteignung umwandelte und den früheren Besitz in das „Eigentum des Volkes“ überführte.

 

Auch die „Brauerei Börner“, einschließlich dem Immobilien- und Familienbesitz, wurde enteignet, das Lebenswerk der immer schwer arbeitenden Familie zerstört. Der Seniorchef Max Börner verstirbt nur wenige Monate später, am 29. Oktober 1946. Fortan führt die verwitwete Hedwig Börner, gemeinsam mit ihren beiden unverheirateten erwachsenen Kindern, ein total zurückgezogenes und bescheidenes Leben. Sie ist nach dem Verlust aller Vermögenswerte dazu gezwungen, diese Art Schattendasein mit ihren Kindern zu führen. Die Börners bewohnen nun in ihrem ehemaligen Wohnhaus auf der Mühlstraße 2 die Erdgeschoßwohnung. In das erste und zweite Obergeschoß wurden durch die Wohnungsvergabestelle der Stadt Radeberg notleidende Flüchtlingsfamilien eingewiesen.

 

Sohn Herbert Börner ist zu dieser Zeit 40 Jahre alt, Tochter Irmgard 38 Jahre. Der Sohn führte nach der Enteignung jahrelange Prozesse für die Rehabilitierung der Familie und zur Rückübereignung des elterlichen Besitzes, wahrscheinlich mit Erfolg, zumindest für die Rückgabe des Grund und Bodens und des Gebäudeeigentums. Als mit dem SMAD-Befehl Nr. 64, vom 17.04.1948, der Befehl 124, vom Oktober 1945, aufgehoben und festgelegt wurde, dass „alle Betriebe, die ohne Grund beschlagnahmt wurden (...) sind bis zum 30.04.1948 zurückzugeben“, gelangte die Familie wieder in den Besitz ihres Immobilien-Eigentums. Betriebs- und Anlagevermögen der Brauerei waren in der Zwischenzeit in alle Winde verweht. Das ehemalige Brauereigebäude nutzte die „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“ (VdgB) später als Aufkaufs- und Verteilerstelle. Dann war in diesem Gebäude eine Niederlassung des VEB Bau- und Vibriermaschinen Radeberg untergebracht.

 

Tochter Irmgard, die als „Börners Irmchen“ in der Nachbarschaft bekannt und wegen ihres unermüdlichen Fleißes geachtet wurde, versorgte ihre Mutter und den kranken Bruder. Sie kümmerte sich aufopfernd um das gesamte Anwesen. Einmal im Jahr strebte sie zur Reinigung der Gruft ihrer Vorfahren dem Friedhof zu. Manch älterer Radeberger wird sich noch an sie erinnern, wenn sie, ausgestattet mit einem kleinen Leiterwagen, der allerhand Gerätschaften und Putzmittel enthielt, ihrem Ziel Friedhof zustrebte, um in das Reich ihrer Vorfahren hinabzusteigen. Auch nach dem Tod von Mutter und Bruder lebte sie total zurückgezogen und isoliert, pflegte keinerlei Kontakte mit der Nachbarschaft, und wenn sie zu Besorgungen ausging, fiel sie stets in ihrer schwarzen Kleidung auf. Eine kleine, zierliche Frau, die trotz ihrer einfachen Verhältnisse, in denen sie zu leben gezwungen worden war, eine Würde ausstrahlte, die andere Menschen immer auf Abstand hielt und zu keinerlei Vertraulichkeiten einlud. Das Leben war an ihr vorbeigegangen. Einst in ihrer Jugend als gute Partie und Anwärterin für die höhere Gesellschaft „gehandelt“, war ihr Leben nun, durch ein unvorhersehbares, neues Kapitel in der Geschichtsschreibung, in vorher nicht vorstellbare Bahnen gelenkt worden.

 

So still und unauffällig wie ihr Leben war auch ihr Lebensende. Kaum einer der Nachbarn registrierte, dass ihr Bruder und später auch sie eines Tages nicht mehr da waren...

 

Heute erinnert nichts mehr an die Zeiten dieser „besseren Leut‘“, der Brauereibesitzer-Familie Börner, einer Unternehmerfamilie aus Radeberg, die sicherlich nicht zu den „ganz Großen“ gehörte, aber das Bild der Radeberger Lebensmittel-Industrie nachhaltig mit geprägt hat und deshalb nicht vergessen werden sollte.

 

 

Quellen:

  • Kirchenarchiv Ev.-Luth. Kirche Radeberg
  • Otto Wittig, Heimatforscher Kleinwolmsdorf
  • Fam. Lemke, Radeberg
  • Bernd Rieprich, Historiker Stadtgeschichte Radeberg
  • Johannes Krause, „Lebensgeschichten“